Jahrelang wurde darüber gestritten, verhandelt und diskutiert, wie der Sedanplatz mal werden soll. Jetzt wird wieder über ihn geredet. Vor allem über die Markthalle, die erneut keinen Mieter hat. Das Gebäude ist, wenn man so will, das Resultat von damals. Und das Resultat ist heute schlecht. Das finden nicht bloß Händler und Politiker. Das meint auch die Albrecht-Vermögensverwaltung, der das Gebäude gehört. Zusammen suchen sie nun nach einer Idee und einem Nutzer. So wie seinerzeit, als es darum ging, was aus dem Sedanplatz werden soll. Die Geschichte eines Millionenprojekts, bei dem am Ende alles anders kam.
Es gibt viele Menschen, die sie erzählen können. Aber es gibt nur wenige, die so eng mit dem Vorhaben verbunden waren wie Christof Steuer. So eng, dass der Bauamtsleiter von damals noch heute Pläne und Protokolle vom Platz und der Debatte über ihn parat hat. Wann sie losging, kann der Pensionär inzwischen gar nicht mehr genau sagen. Aber womit: mit den Eingängen zur Tiefgarage unterm Sedanplatz, die gestaltet werden sollten. Irgendwann Anfang der 90er-Jahre war das. So gesehen, sagt Steuer, fing alles klein an.
Nur dass die Pläne für die Eingänge zur Tiefgarage eben schnell größer wurden. Dass die Kioske, die das Bauamt für sie vorsah, nicht mehr reichten, weil die Albrecht-Vermögensverwaltung das Haven Höövt plante. Und irgendjemand – Steuer weiß nicht mehr wer – die Idee aufbrachte, dass die Fußgängerzone zwischen zwei „kräftigen Polen“ liegen müsse: zwischen dem Einkaufszentrum am Hafen und etwas Neuem auf dem Sedanplatz. Das Bauamt plante wieder, diesmal ein Dach für den Platz und eine Markthalle, die wesentlich kleiner war als die heutige.
Doch beides, sagt Steuer, war den einen zu wenig, den anderen zu viel. Der Entwurf fiel durch, sowohl bei den Marktbeschickern als auch beim Beirat. Die Wirtschaftsförderung schaltete sich ein. Ihre Tochtergesellschaft, die damals Stadtentwicklung Vegesack hieß und heute Geschichte ist, startete einen ersten Wettbewerb: Architekten und Städtebauer sollten Pläne für den Platz entwerfen. Doch der Sieger war weder das eine noch das andere, sondern Maler, Bildhauer, Komponist und Philosoph. Unterm Strich trat er als Visionär auf.
Der Mann hieß Ernst Fuchs. Seinen Vorschlag nannte er wie die antiken Griechen ihre Eintrittsmarken: Symbolon. Auch Fuchs wollte Eintrittsgeld für seine „farbenfrohe und fantastische Kunstmarkthalle“, wie er den Bau beschrieb. In dem bunten Gebäude mit kuppelförmigen Dach wollte er Bilder zeigen, vor allem seine eigenen. Der Bau sollte 40 Millionen Mark kosten und bis zu 350 000 Besucher pro Jahr bringen. Was der Jury gefiel, fand unter Vegesackern jedoch mehr Gegner als Befürworter – und republikweit keinen Investor.
Christof Steuer ist für seine Kritik an der Vision des Wiener Visionärs immer wieder selbst kritisiert worden. Der damalige Bauamtschef und sein Team wurden mal als fantasielos, mal als bieder beschimpft. Manche nannten Steuer einen Spielverderber. Für ihn war die Sache allerdings kein Spiel, sondern „bitterer ernst“. Noch Jahre später, als das Symbolon längst zu den Akten gelegt war, gab es Vorwürfe, mit dem Fuchs-Bau hätte man eine einmalige Chance für Vegesack vertan.
Dabei war es weder das Amt noch sein früherer Chef, der das endgültige Aus entschieden hatte – noch hätte entscheiden können. Zwei Jahre nach dem Wettbewerb der Wirtschaftsförderer gehörte das Symbolon zu weiteren acht Entwürfen für den Sedanplatz, über die diesmal keine Jury, sondern der Beirat abstimmen sollte. Im März 2000 war das. An zwei Abenden stellten Moderatoren die Projekte im Bürgerhaus vor. Die Vegesacker Fraktionen kamen zu einer Sondersitzung zusammen. Statt in der Woche tagten sie an einem Sonnabend.
Bei der Wahl, was werden könnte, war das Symbolon nicht mehr das ungewöhnlichste Projekt. Steuer hat Zeichnungen des Bremerhavener Design-Labors, die zwölf gläserne Pavillons für Geschäfte zeigen, über die sich schwenkbare Sonnensegel spannen. Es gibt Bilder von einem 30 Meter hohen Leuchtturm und von einem halb so hohen Aussichtsturm, Präsentationen eines Sedanplatzes mit Wasserfall, mit einem dreigeschossigen Seewasser-Aquarium, mit einem Café, das der Planer so ähnlich wie die Strandlust am Vegesacker Fähranleger genannt hatte: Stadtlust.
Die Zahl der Pläne für eine Halle, in der sich Marktstände reihen, reduziert sich auf zwei. Der eine Entwurf ist vom Bauamt. Man könnte ihn die Mutter aller Vorschläge nennen. Ein anderer ist eine Koproduktion von Bauamt und dem Nordbremer Architekten Magnus Kaminiarz. Es ist quasi eine Weiterentwicklung der Markthallen-Idee. Das Gebäude ist wesentlich größer, L-förmig und zweigeschossig. Unten sollte eine Zeile für Läden und Marktstände entstehen, oben eine Büroetage.
Doch der Beirat, der auf seiner Sondersitzung mehrmals abstimmte, konnte sich auf keinen Entwurf einigen. Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt, damals noch auf dem Stellvertreterposten, hat das in alten Protokollen nachgelesen: „Mal lag der eine Vorschlag vorn, mal ein anderer.“ Nur die erforderliche Mehrheit, auf die sich die Fraktionen verständigt hatten, kam nie zustande. Darum lautete die Entscheidung nach mehreren Stunden, dass es keine Entscheidung gibt. Und damit für den Sedanplatz wieder alles offen ist – nachdem fast zehn Jahre lang geplant worden war.
Wie viel die Entwürfe von Stadtplanern, die Modelle der Architekten, Gutachten von Ingenieuren und die Wettbewerbe gekostet haben, kann Christof Steuer heute nicht mehr sagen. Aber Geld, sagt der frühere Bauamtsleiter, gab es genug. Für das Programm, mit dem die Wirtschaftsbehörde das Vegesacker Zentrum stärken wollte, standen nach seiner Rechnung rund 40 Millionen Euro bereit. Es kam teils vom Land, teils vom Bund und war nicht nur für den Sedanplatz, sondern für den Stadtteil als Ganzes. Immer wieder trat die Politik dafür ein, das Budget aufzustocken.
Die Albrecht-Vermögensverwaltung hat sich an keinem Wettbewerb für den Sedanplatz beteiligt. Sie trat 2002 als Investor der Markthalle auf. Das geht aus einer Anfrage der Grünen von damals hervor. Die Bürgerschaftsfraktion wollte wissen, was nun werden soll aus dem Platz.
Damals hatte das Hamburger Unternehmen bereits den Zuschlag für den Bau des Haven Höövt erhalten und sollte offenbar zügig den für die Markthalle bekommen. In seiner Antwort an die Partei schreibt der Senat, dass die Albrecht-Vermögensverwaltung „nun um kurzfristige Konkretisierung ihres Angebotes gebeten“ wurde. 2004 hatte sie den Auftrag. Das Bauamt entwarf keine Pläne mehr für den Platz, es begleite das Vorhaben nur noch. Christof Steuer sagt, dass sich damals niemand mehr gefunden hatte, der die Erfolgschancen einer Markthalle, so wie sie von den Hamburgern gebaut werden sollte, zu hinterfragen wagte: „Hauptsache war für die meisten, dass nach dem langen Hin und Her endlich etwas passierte.“ Ende 2007 wurde das Gebäude eröffnet, zwei Jahre später sprangen die ersten Standbetreiber ab. 2010 war auch der letzte weg, und es begann die Zeit der Zwischenlösungen.
Jetzt will die Albrecht-Vermögensverwaltung einen Neuanfang. Genauso wie sie es beim insolventen Haven Höövt wollte, das ihr jetzt ein Mannheimer Unternehmen weggeschnappt hat. Für die Markthalle hat sich die AVW eine Frist gesetzt. Bis zum Herbst, sagt Vorstandsmitglied Edward Martens, soll ein Mieter gefunden werden, der dauerhaft bleibt. Wenn nicht, dann wäre für ihn ein Abriss des Gebäudes zumindest denkbar – ein Neuanfang ohne Markthalle sozusagen. Wie Anfang der 90er Jahre.