Bis zum 30. September hat Bremen in diesem Jahr 58 Personen abgeschoben. Demgegenüber standen im selben Zeitraum 89 gescheiterte Abschiebungen. Bei den Gründen für dieses Scheitern taucht seit Kurzem einer besonders häufig aus: Kirchenasyl. Die Zahl der Kirchenasylfälle in Bremen ist in den vergangenen Jahren insgesamt deutlich gestiegen – von 16 im Jahr 2021 auf mehr als 100 in diesem Jahr.
In der aktuellen Liste des Migrationsamtes von Mitte November entfielen von inzwischen 111 gescheiterten Abschiebungen 32 auf Kirchenasyl. Damit steht Bremen aber nicht alleine. Diese Entwicklung zeichnet sich bundesweit ab und wird deshalb auch Thema bei der Innenministerkonferenz Anfang Dezember sein.
Hintergrund hierzu ist eine grundsätzliche Kritik an den Kirchen, wie sie im Oktober Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) formulierte. Die Kirche halte sich nicht mehr an eine 2015 abgeschlossene Vereinbarung. Die sieht vor, dass die Kirchen Menschen, die das rechtsstaatliche Verfahren schon durchlaufen haben, in besonderen Härtefällen Asyl gewähren können und diese Fälle dann noch einmal vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geprüft werden. Erkennt das Bundesamt die Einwände nicht an, muss der Betroffene das Kirchenasyl verlassen. An diesen Teil der Vereinbarung hielten sich die Kirchen jedoch regelmäßig nicht, sagte Grote dem Hamburger Abendblatt. „Das ist ein Problem, denn: Die Kirche steht nicht über dem Recht.“ In Hamburg war Ende September erstmals ein afghanischer Asylbewerber aus dem Kirchenasyl heraus nach Schweden abgeschoben worden.
In Bremen gibt es derlei Konflikte bislang nicht. Man habe kein Problem mit den Kirchen, heißt es seitens der Innenbehörde. Gleichwohl registriere man aber auch in Bremen den deutlichen Anstieg der Fälle von Kirchenasyl. Die beziehen sich derzeit ausschließlich auf sogenannte Dublin-Überstellungen, also auf Flüchtlinge, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland eingereist sind und binnen sechs Monaten nach dorthin zurück müssten. „Wir erstellen in jedem dieser Fälle ein Dossier und bitten das Bamf um Selbsteintritt“, berichtet Lars Ackermann, Leiter des von der Bremischen Evangelischen Landeskirche finanzierten Vereins „Zuflucht“, der in Fällen von Kirchenasyl Ansprechpartner für das Bundesamt ist.
Bamf lehnt Härtefälle ab
In den Dossiers begründet die Kirche, warum es sich um einen Härtefall handelt, etwa weil den Betroffenen in dem (meist osteuropäischen) EU-Land, in das sie zurückgebracht werden sollen, unzumutbare Haftbedingungen und Gewalt erwarteten oder ihnen dort kein Zugang zu rechtlichen Möglichkeiten gewährt werde. „Selbsteintritt“ bedeutet, dass nicht mehr länger das EU-Land, über das der Flüchtling nach Europa kam, für ihn zuständig ist, sondern Deutschland. Bei derzeit rund 2500 Kirchenasylen in Deutschland liege die Quote für den Selbsteintritt aber bei weniger als einem Prozent, sagt Ackermann. „Das zeigt, wie ernsthaft das Bamf diese Fälle prüft.“
Genau das erwarte man jedoch von Kirchenseite. „Wir selbst prüfen ja auch die Fluchtgeschichten, Fotos und Dokumente genau auf ihre Glaubwürdigkeit.“ Etwa 80 Anfragen auf Kirchenasyl gebe es pro Woche – 20 bis 25 davon aus Bremen, der Rest aus anderen Bundesländern – doch tatsächlich Kirchenasyl erhielten nur wenige humanitäre Härtefälle.
Besteht am Ende des Verfahrens der Eindruck, dass sich das Bamf vor der erneuten Ablehnung nicht ernsthaft mit dem Fall beschäftigt habe, könne es sein, dass das Kirchenasyl aufrechterhalten wird, erklärt Ackermann. „Diese Entscheidung trifft die Gemeinde. Und ich teile sie dann dem Bamf mit.“
Doch all dies ist offenkundig nur Theorie: In 99 Prozent der Fälle erhalte er keine Antwort vom Bundesamt, berichtet Ackermann. Für die Überstellung sei in der Regel die Sechs-Monats-Frist schon abgelaufen.
Dass sich die Zahl der Kirchenasyle in Bremen angesichts dieser Praxis weiterhin deutlich erhöhen wird, erwartet Lars Ackermann trotzdem nicht. „Wir sind schon mit unseren rund 100 Plätzen an der Grenze unserer Möglichkeiten.“ Kirchenasyl bedeute schließlich nicht, dass da jemand in der Kirche übernachte. Dafür würden geeignete separate Räumlichkeiten in Pfarr- und Gemeindehäusern benötigt. Deshalb würden die Zahlen im kommenden Jahr eher wieder deutlich nach unten gehen, vermutet Ackermann. Denn man wisse bereits, dass man einen Teil der bisherigen Unterbringungsmöglichkeiten verlieren werde.