Lesum. Er habe, so jedenfalls besagt die Legende, geradezu wie in einem Rausch geschrieben und das gesamte Werk in nur wenig mehr als drei Wochen fertiggestellt. Die Rede ist von Georg Friedrich Händel und seinem wohl berühmtesten Opus, dem Oratorium „Der Messias“, das auch 275 Jahre nach seiner Entstehung nichts an Faszination eingebüßt hat. Der erste Teil, der die Geburt Jesu im biblisch geoffenbarten Kontext thematisiert, war beim Konzert zum 4. Advent in der nahezu bis auf den allerletzten Platz besetzten Kirche St. Martini in Lesum zu hören.
Zwar war es Händel im anglikanisch-puritanischen England verboten, den biblischen Stoff auf die Theaterbühne zu bringen, aber als versierter Opernkomponist wusste er sehr wohl, wie er allein mit musikalischen Mitteln eine Szenerie in der Vorstellungskraft der Zuhörer erzeugen konnte. Genau dies geschah mit den sanften Klängen der einleitenden Sinfonia, die vom Barockorchester Bremer Ratsmusik mit ausgeprägtem Feingefühl intoniert wurde, bevor die Capella St. Martini und die Solisten unter dem stets zuverlässigen Dirigat von Hans-Dieter Renken die wundersamen Geschehnisse von Bethlehem in englischem Originaltext vortrugen.
Die dem Lob Gottes zugedachten, mit Inbrunst und Nachdruck angestimmten Chöre beeindruckten dabei gleichermaßen wie die erzählenden Rezitative und Arien. Obwohl Tenor Lothar Blum laut Ansage stimmlich indisponiert und dadurch nicht allzu volumenstark war, hätten die Trostworte seines einleitenden Accompagnatos kaum inniger geraten können. Altus Michael Lieb hatte ebenfalls zeitweise mit Heiserkeitsproblemen zu kämpfen, konnte diese aber gut kompensieren; er gefiel mit sensibler Gestaltung seiner Partien. Bei dem zu Herzen gehenden Duett „Er weidet seine Herde“ wirkte Lieb jedoch als eher distanzierter Hirte, während Sopranistin Danuta Dulska mit deutlich mehr Wärme und Herzblut samt stimmlicher Elastizität überzeugte.
Der Chor sorgte für eine fundierte Bestätigung des Handlungsablaufs: Bei der Vertonung der Jesaja-Worte „Denn es ist uns ein Kind geboren“ geschah dies etwa mit einer besonders markanten Akzentuierung der Messiasnamen, beim Schlusschor „Sein Joch ist sanft“ brachten die spritzigen Koloraturen die im Text angesprochene Leichtigkeit nachvollziehbar zum Ausdruck.
Ungewöhnliche Kombination
Eher ungewöhnlich, aber durchaus passend hatte Renken den „Messias“ mit zwei Werken Johann Sebastian Bachs kombiniert. Die vorangestellte Kantate „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes“, für den 2. Weihnachtstag 1723 komponiert, begründet mit ihrem Text die Menschwerdung Jesu: „...dass er die Werke des Teufels zerstöre.“ Es waren vor allem die Orchestranten, darunter zwei grandiose Hornisten, die dieses „Zerstörungswerk“ mit instrumentaler Vehemenz und Schärfe in ausgewogenem Zusammenspiel vornahmen, gleichzeitig aber auch die überschäumende Freude über das Gelingen in lebhaften Klängen vermittelten.
Letzteres gelang auch dem Tenor mit wahrhaft atemberaubenden Verzierungen in seinem Arien-Aufruf „Christenkinder, freuet euch!“. Bassist Gregor Finke, der den Lesumern aus vielen vorherigen Konzerten bestens bekannt ist, blieb – anders als bei seinen sonorig und sehr pointiert gesungenen „Messias“-Partien – in seiner Warnung an die „höllische Schlange“ noch etwas blass und kaum erschreckend. Die fugalen Choreinsätze gelangen durchweg gut; gewiss am schönsten aber waren die aus vollen Kehlen erklingenden hymnischen Choräle.
So auch beim nachgestellten 4. Teil des bachschen Weihnachtsoratoriums „Fallt mit Danken“, der als Neujahrskantate bereits einen Rückblick auf Bethlehem und die daraus folgende persönliche Glaubenszuversicht für jeden Einzelnen eröffnet. Überaus reizvoll und mit verblüffender Raumwirkung geriet hier die Echoarie, bei der die Oboe und zwei Sopranistinnen in intimen Klängen dialogisierten. Das finale Ausrufungszeichen dieser durchweg ansprechenden Weihnachtseinstimmung setzte der Chor mit dem Choral „Jesu richte mein Beginnen“, gefolgt vom lang anhaltenden Beifall der begeisterten Zuhörer.