Hans Eulenbruch steht vor der Ruine seines Geschäftes. Die verzierte Fassade ist schwarz verkohlt. Es riecht nach verbranntem Holz und feuchten Steinen. Überall tropft Löschwasser. Immer noch. Das Feuer bei Harms am Wall ist am Mittwochabend ausgebrochen. Seit Donnerstag ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht nur wegen Brandstiftung, sondern auch wegen Raubes und des Verdachts des versuchten Mordes. An ihm: Eulenbruch. So hat er es den Beamten bei seiner Vernehmung geschildert. Während Ermittler nach Spuren im ausgebrannten Gebäude suchen, erzählt der Chef des Traditionskaufhauses, was ihm zufolge am Abend, als das Feuer ausbrach, in seinem Geschäft passiert ist.
Eulenbruch berichtet von einem Überfall. Von zwei Männern, beide maskiert, die gegen 20 Uhr in sein Büro im zweiten Stock stürmen. „Sie wollen Geld, sie wollen, dass ich den Tresor öffne.“ Einer, sagt Eulenbruch, bedroht ihn mit einer Schusswaffe. Als der Geldschrank geöffnet ist, zeigen sich die Männer nach seinen Worten enttäuscht: „Die meisten Kunden bezahlen bei uns mit Kreditkarte.“ Der Geschäftsführer erzählt, dass er in die Gästetoilette am Ende des Flures gesperrt wird. Dass er keinen Mucks machen soll, andernfalls werde durch die Tür geschossen. So soll es einer der Männer gesagt haben.
Ein Knarren und Klirren
Wie lange er eingesperrt ist, weiß Eulenbruch nicht genau. „Es war wohl eine knappe Stunde, gefühlt war es länger.“ Er erzählt, dass er die ganze Zeit angestrengt auf die Geräusche im Geschäft lauscht. Irgendwann, sagt er, hört er keine Schritte mehr, sondern ein Knarren und Klirren. „Das ist der Moment, in dem ich versucht auszubrechen.“ Eulenbruch erzählt, dass er die Toilettentür eintritt. Dass er Feuer riecht, aber zunächst nur Qualm sieht. Und dass er sich vorsorglich einen Feuerlöscher greift und den Weg nach unten ins Freie antritt, über eine Treppe im Bürotrakt, der sich in einem Nebengebäude befindet.

Blick ins Innere des Gebäudes, das komplett ausgebrannt ist.
Erst auf der Straße, berichtet Eulenbruch, merkt er, dass er nicht getan hat, was er sich immer wieder auf der Gästetoilette gesagt hat: „Du musst an die Überwachungsanlage denken.“ Der Geschäftsführer macht nach eigenem Bekunden sofort auf dem Absatz kehrt, um noch einmal die Treppe in den zweiten Stock zu nehmen, wo die Videoanlage steht. „Ich habe mir alles gegriffen, was ich tragen konnte.“ Dass zu diesem Zeitpunkt das Kaufhaus komplett in Flammen steht, wird ihm zufolge erst klar, als er das zweite Mal ins Freie tritt. Eulenbruch erzählt, dass er Feuerwehrleuten und Polizisten direkt in die Arme läuft. Und dass er sich bei ihnen beklagt: „Viermal habe ich auf dem Weg nach unten den Notruf gewählt, immer war besetzt.“ Nein, sein Handy hätten ihm die maskierten Männer nicht weggenommen.
Eulenbruch wird auf der Wache am Wall vernommen. „Bis drei Uhr morgens.“ Währenddessen, berichtet er, fangen Beamte an, sich die Bilder anzuschauen, die zehn Kameras im Geschäft gemacht haben. In einer Szene, sagt Eulenbruch, ist einer der Täter gut zu sehen. Wie viele es waren, darüber kann er nur spekulieren. „Zwei haben mich überfallen. Aber ich hatte den Eindruck, dass mehr Leute im Haus waren.“ Für ihn steht fest, dass sie das Feuer gelegt haben, um Spuren zu verwischen. Vielleicht, sagt er, steckten sie das Gebäude auch aus Frust in Brand, weil weniger Geld im Tresor war als sie erwartet hatten. Eine Summe nennt Eulenbruch nicht. Stattdessen beginnt er von einem Gerücht zu sprechen, dass gleich am Tag nach dem Brand zu ihm gedrungen ist. „Manche reden von ,heißer Sanierung’: Ich soll das Feuer selbst gelegt haben, weil es Streit mit dem Eigentümer des Gebäudes gibt.“ Letzteres stimme, mehr aber nicht. Eulenbruch berichtet von einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Marco Bremermann, dem das Haus gehört. Davon, dass sowohl das Land- als auch das Oberlandesgericht entschieden haben, dass der Eigentümer das Haus auf eigene Kosten sanieren muss, um seinen Pflichten als Vermieter nachzukommen. Eulenbruch erzählt, dass 1000 von 3500 Quadratmeter Geschäftsfläche vom Schimmel befallen waren. Und dass ausgerechnet an dem Tag, als das Oberlandesgericht sein Urteil schriftlich mitteilt, das Geschäft abbrennt. Für eine Stellungnahme war Bremermann nicht zu erreichen.

Harms am Wall - Brand
Ob der Eigentümer von der Staatsanwaltschaft in den nächsten Tagen befragt wird, kann Sprecherin Silke Noltensmeier nicht sagen. Sie erklärt, dass derzeit Beamte dabei sind, dass Bildmaterial der Überwachungsanlage auszuwerten und Spuren im Gebäude zu sichern. „Momentan gibt es keine neuen Erkenntnisse.“ Noltensmeier schließt nicht aus, dass die Brandermittler auch noch heute und morgen das Gebäude inspizieren. Das hat auch die Baubehörde getan. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Geschäftshaus nicht sanierungsfähig ist, wie Sprecher Jens Tittmann sagt. „Wir haben den Eigentümer deshalb aufgefordert, ein Schutzgerüst rund um das Gebäude aufzustellen.“ Solange das nicht geschehen ist, bleibt der Wall weiterhin gesperrt. Weil keine akute Einsturzgefahr bestehe, könne die Behörde einen Abriss nicht anordnen. Tittmann: „Was mit dem Haus geschieht, muss jetzt der Eigentümer entscheiden.“
Zum Brand am Wall hofft die Polizei auf Hinweise. Zeugen werden gebeten, sich an den Kriminaldauerdienst unter 362 38 88 zu wenden.
Was vom Haus noch übrig ist
Blicke von der Drehleiter zeigen das ganze Ausmaß der Zerstörung
Die Schaufensterpuppen stehen noch im Schaufenster, ein Plakat preist die aktuelle Frühjahrsmode an. Aber das ist auch schon alles, was beim Kaufhaus Harms am Wall jetzt noch normal ist.
Mit einer Drehleiter ist die Feuerwehr am Freitagmorgen angerückt, um das Gebäude auf Glutnester zu kontrollieren. Zwei Mal hatten sie nach den eigentlichen Löscharbeiten zurückkommen müssen, weil wieder Rauch aufgestiegen war. Am Donnerstagnachmittag und am Freitagmorgen um 6 Uhr.
Nichts Ungewöhnliches bei so einem Großbrand, erzählt einer der Feuerwehrmänner. Wenn die Einsatzkräfte beim Löschen nicht in das ganze Gebäude kommen, dann kann es sein, dass noch Glutnester zurückbleiben. Und das, obwohl das Löschwasser in den Räumen steht und von der Fassade tropft. Auch der Keller ist vollgelaufen.
Zugführer Michael Meyer ist am Freitag mit vier Leuten hineingegangen in das, was von dem Kaufhaus übrig geblieben ist. Die Drehleiter musste sie nach oben bringen – das Holztreppenhaus auf der linken Seite ist nicht mehr da. Nur auf der rechten Seite gibt es noch eines: Es ist aus Beton.
Wer durch die Löcher, die einmal Fenster waren, in die Räume hineinschaut, erblickt ein düsteres Chaos. Rußgeschwärzte Tische und Regale sind das Einzige, was noch steht, Kleiderstangen liegen in den Haufen von verkohltem Holz, das Löschwasser durchtränkt alles.
Im Dachgeschoss sieht es ein wenig besser aus: Auf einem Haufen liegen einige Ballen Stoff, auch Nähmaschinen sind da, Stühle und Tische. Ein Kalender hängt noch an der Wand. Man habe versucht, einige Dinge in Sicherheit zu bringen, sagt ein Feuerwehrmann. Seine Kollegen und er haben alle Etagen mit ihren Wärmebildkameras untersucht und kontrolliert ob es noch unentdeckte Glutnester gibt. Gibt es nicht.
Unten auf der Straße stehen ein paar Passanten. Sie halten ihre Smartphones in der Hand und fotografieren. Ein Junge will wissen, ob die Leute von der Feuerwehr am nächsten Tag auch wieder da sein werden. Ein Feuerwehrmann schüttelt den Kopf. Fürs Erste ist die Arbeit der Feuerwehr in dem Kaufhaus abgeschlossen. Nun ist die Polizei dran.