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64 Prozent bestreiten Alltag selbstständig Große Mehrheit über 80-jähriger Bremer lebt im eigenen Haushalt

Von der Gruppe der über 80-Jährigen muss nur jeder zehnte ins Pflegeheim. Zwar steigt der Anteil mit zunehmendem Alter, aber sogar die Mehrzahl der Bremer und Bremerinnen über 95 lebt im eigenen Haushalt.
29.05.2021, 19:42 Uhr
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Große Mehrheit über 80-jähriger Bremer lebt im eigenen Haushalt
Von Timo Thalmann

An den September 1929 hat Anneliese Mehnen noch lebhafte Erinnerungen. Das Luftschiff Zeppelin zog da kurz nach seiner ersten Weltumrundung über dem Steffensweg in Walle eine Runde. Der Blick in den Himmel auf das über 200 Meter lange schwebende Gefährt prägte sich der damals achtjährigen Anneliese ein. "Das seh ich wirklich noch wie heute vor mir", sagt die Seniorin.

An diesem Sonnabend feierte Mehnen ihren 100. Geburtstag und sie wohnt immer noch unweit des Steffensweg. "Ein paar Jahre in Peterswerder, aber sonst immer im Bremer Westen", sagt die rüstige Dame. Damit ist sie schon etwas Besonderes, denn blickt man in die Bremer Bevölkerungsstatistik, leben von den knapp 1500 Bremern über 95 Jahre nur rund 50 in Walle.

Mit 100 Jahren noch im eigenen Haus

In anderer Hinsicht gehört sie zur Mehrheit: Mehnen lebt noch in ihrem eigenen Haushalt. Das gilt selbst in dieser Altersgruppe der sehr Hochbetagten für fast 70 Prozent. Nur gut 30 Prozent der über 95-Jährigen in Bremen leben in einer Pflegeeinrichtung. In den jüngeren Jahrgängen nimmt dieser Anteil sogar sehr schnell ab: Bei den 90 bis 95-Jährigen sind es 22 Prozent, bei der Gruppe zwischen 85 und 90 nur noch 10,3 Prozent und von den 80 bis 85-Jährigen leben nur fünf Prozent nicht mehr im eigenen Haushalt. Insgesamt sind von rund 38.000 Bremern über 80 rund 3600 auf stationäre Pflege angewiesen: Das sind weniger als zehn Prozent. Und auch wenn man die ambulant oder von Angehörigen und Partnern gepflegten hinzunimmt: Rund 64 Prozent der über 80-Jährigen geht es wie Anneliese Mehnen. Sie bestreiten ihren Alltag komplett ohne professionelle Unterstützung.

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"Natürlich helfen mir meine Kinder, wenn sie können, gerade während der Coronazeit haben sie häufiger für mich eingekauft", sagte Mehnen. Aber die seien inzwischen ja selber Rentner und außerdem lebten sie nicht in Bremen. "Ich hab da meinen Hackenporsche und kann mich versorgen", zeigt sie auf ihren Einkaufstrolly. Bis vor zwei Jahren war sie für Besorgungen noch mit dem eigenen Auto unterwegs, aber inzwischen seien die Augen zu schlecht geworden. "Aber das passt schon. Ich geh gerne spazieren", erzählt sie und bedauert, keinen passenden Partner für dieses Hobby zu haben. Die Bewegung halte sie fit, ist sie überzeugt. "Und meine drei Treppen im Haus. Ein Arzt hat mir mal gesagt, so lange ich die täglich nutze, brauch ich keinen zusätzlichen Sport."

Altersforscher: Lebensweise beeinflusst Alterungsprozess

So sieht das auch Sven Voelpel. "Man kann die Dame nur beglückwünschen zu ihrem Alter und der positiven Einstellung", sagt der Altersforscher der Jacobs-University. Voelpel ist der Überzeugung, dass sich der Alterungsprozess durch die eigene Lebensweise sehr beeinflussen lässt. "Entscheide selbst, wie alt du bist" und "Die Jungbrunnen-Formel: Wie wir bis ins hohe Alter gesund bleiben" lauten die Titel seiner gut verkauften Bücher. "Bewegung und Ernährung sowie der Verzicht auf Nikotin und Alkohol sind die Hauptfaktoren", sagt der Demografie-Experte.

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Dass die Mehrheit der Generation 80-plus heute weitgehend selbstständig lebt, überrascht ihn nicht. "Diese Generation profitiert in hohem Maße vom Zuwachs des medizinischen Wissens." Noch für deren Großeltern seien etwa Erkrankungen wie ein entzündeter Blinddarm oder auch eine einfacher Mandelentzündung schnell lebensbedrohlich geworden. Heute erreichten durch den wissenschaftlichen Fortschritt viele Menschen ein hohes Lebensalter. "Wie man dabei gesund bleibt, ist darum mittlerweile die entscheidende Frage." Für Voelpel hängt vieles von der Einstellung ab. "Ich möchte vor allem die Auffassung ändern, Altern sei ein fortwährender Verlustprozess." Es liege am Einzelnen, sich von dieser gesellschaftlich verbreiteten Haltung freizumachen und seinen Blick auf die Dinge zu richten, die man im Alter gewinnen könne. "Dazu zählt Gelassenheit, eine höhere emotionale Stabilität und weil man im Alter zumeist keine ehrgeizigen Ziele mehr verfolgt auch eine höhere Zufriedenheit." Gepaart mit einer Offenheit für Neues, Bewegung sowie gesunder Ernährung sei der Lebensabend eigentlich dafür prädestiniert, die glücklichste Lebensphase zu werden.

Anneliese Mehnen erlebt das so. Mit 74 hat die gelernte Erzieherin den ersten ausrangierten Computer ihres Sohnes übernommen und nutzt seitdem das Internet. "Das ist vor allen Dingen schön, um Kontakt zu allen Enkeln und Urenkeln zu halten, die ziemlich verstreut in Deutschland und sogar im Ausland leben" sagt sie. Aus dem ersten grauen PC ist inzwischen ein iPad geworden, mit dem sie Bilder oder Videos aufnimmt, verschickt und empfängt sowie sich über das Weltgeschehen informiert. "Den Bogen hatte ich schnell raus. Ich kann nicht verstehen, wenn Leute sagen, sie seien zu alt, um noch etwa Neues anzufangen. Das lohnt sich immer", ist die 100-Jährige überzeugt. 

Zur Sache

Prognose von 2008

Im Jahr 2008 hat der damalige Bausenator Reinhard Loske (Grüne) auf über 200 Seiten eine umfangreiche Prognose des Statistischen Landesamtes zum demographischen Wandel vorgelegt. Eine der Vorhersagen darin: Im Jahr 2020 wird die Zahl der über 80-Jährigen von knapp 30.000 im Jahr 2006 auf rund 42.000 Bremer anwachsen, was einem Anteil von 7,6 Prozent der Bevölkerung entspreche. Tatsächlich waren es zum Stichtag 31. Dezember 2019 exakt 38.039, was einen Anteil von 6,7 Prozent ergibt. Bremen ist damit etwas jünger geblieben als seinerzeit prognostiziert.

Die insgesamt höchsten Einwohneranteile hochaltriger Bewohner wurden für das Jahr 2020 in den Ortsteilen Ellener Feld (16,2 Prozent), Horn (13,8 Prozent) und Sodenmatt (12,6 Prozent) erwartet. Auch hier liegen die am Ende 2019 ermittelten Zahlen durchgehend niedriger: 12,8 Prozent im Ellener Feld, 12,4 Prozent in Horn und 8,9 Prozent in Sodenmatt. Dass die genannten Ortsteile im Vergleich zur restlichen Stadt die höchsten Anteile bei den über 80-Jährigen aufweisen trifft zumindest für das Ellener Feld und Horn zu. An dritter Stelle liegt statt Sodenmatt aber Grolland, wo laut Statistik zwölf Prozent der Einwohner und vor allem Einwohnerinnen bis Ende 2019 ihren 80. Geburtstag feiern konnten.

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