Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

1200 Windräder in Nord- und Ostsee Hochschule Bremen untersucht Rückbau von Offshore-Windparks

Rund 1200 Offshore-Windräder stehen derzeit in der deutschen Nord- und Ostsee. Welche Kosten und Beeinträchtigungen für die Umwelt ein Rückbau der Windräder hat, will die Hochschule Bremen nun herausfinden.
16.01.2019, 13:49 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Peter Hanuschke

Wie Offshore-Windanlagen effektiv auf hoher See installiert werden, das weiß die junge Industrie inzwischen. Sie ist auch dabei, die Methoden immer weiter zu verbessern. Beim vorgeschriebenen Rückbau der tonnenschweren Anlagen fehlt ihr hingegen die Erfahrung. Dabei spielt unter anderem das nachhaltige Recycling eine wesentliche Rolle. Wie dieser komplexe Vorgang sinnvoll abgewickelt werden kann, damit beschäftigt sich die Hochschule Bremen im Verbund mit zahlreichen Unternehmen, die direkt und indirekt mit Offshore-Wind zu tun haben.

Schon bei der Kick-Off-Veranstaltung in der Hochschule am Mittwoch wurde deutlich: Die Entwicklung von Rückbau-Strategien für Offshore-Windanlagen in Wassertiefen von 40 Metern ist eine große Herausforderung. Und dabei steht nicht allein das Gewicht im Vordergrund – auch wenn manche Tripod-Fundamente, die in der Nord- und Ostsee verwendet wurden, 900 Tonnen wiegen können.

"Entscheidend ist eben auch, was am Ende Gift und Gold ist"

Es geht auch darum, welche Schutzfarben für die Anstriche verwendet wurden, welche Materialen im einzelnen in den verschiedenen Bauteilen stecken. Die Frage ist, wie diese entsorgt werden können und was sich wieder dem Rohstoffkreislauf zuführen lässt. Ist es sinnvoller die Anlagen auf hoher See zu demontieren? Oder ist es aus Kostengründen und wegen des Umweltschutzes einfacher, sie in dafür speziell ausgelegten Häfen zu zerlegen? Schließlich ist der Arbeitsschutz zu klären.

Dies sind nur einige der Fragen, die die Referenten selber stellten oder die aus dem etwa 70 Teilnehmer großen Kreis des Fachpublikums kamen. Wünschenswert sei beispielsweise besonders auch fürs Recycling eine sogenannte Explosions-Zeichnung, auf der zeichnerisch die Anlage zerlegt und Details ihrer Bestandteile und Inhaltsstoffe zu sehen seien, so Sven Rausch, der beim Entsorgungsunternehmen Nehlsen für den Bereich Forschung und Entwicklung zuständig ist.

So eine Explosions-Zeichnung gebe es etwa fürs Auto. Diese Fleißarbeit sei auch für Windanlagen möglich, nur benötige man dafür genaue Angaben der Hersteller, was wiederum von deren Kooperationsbereitschaft und der Qualität ihrer Dokumentationen abhänge. „Entscheidend ist eben auch, was am Ende Gift und Gold ist.“ Man müsse bei der Entsorgung von Windparks „mit einer Chemie-Brille draufschauen“.

Nehlsen gehört neben der Stiftung Offshore-Windenergie und der international tätigen Deutschen Windtechnik Repowering GmbH aus Bremen mit zu den Verbundpartnern des Projekts. Nehlsen hat bereits Erfahrung mit dem Recyceln von Onshore-Rotorblättern gesammelt. Zur Ergänzung der Expertise und Evaluation der Projektergebnisse soll ein enger Austausch mit den assoziierten Partnern Vattenfall Europe Windkraft GmbH, Tennet Offshore GmbH und der EnBW Energie Baden-Württemberg AG sowie einem breit aufgestellten Expertenbeirat erfolgen.

Das Projekt wird mit 1,1 Millionen Euro über eine Laufzeit von drei Jahren vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Das ganze Vorhaben steht unter der Regie von Projektträger Jülich, der Einrichtung, die ausschließlich Forschungsprogramme der Öffentlichen Hand begleitet.

Vernünftige Strategien für den komplexen Rückbau von Offshore-Windenergieanlagen zu entwickeln, sei nur interdisziplinär umsetzbar, sagte zu Beginn der Veranstaltung Karin Luckey, Rektorin der Hochschule Bremen. Diese Aufgabe sei nur zu lösen, wenn alle an einem Tisch säßen, also ein Kreis aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gemeinsam an dieses Thema herangehe.

Neue Lebensräume im Wasser

Laut dem Bundesamt für Naturschutz gibt es aktuell 21 Windparks – davon 18 in der Nordsee mit 996 Windenergieanlagen (WEA) und drei in der Ostsee mit 171 Anlagen. Außerdem befinden sich sechs Parks im Bau mit insgesamt 329 WEA. Darüberhinaus sind weitere sechs Parks genehmigt (273 WEA) und derzeit vier weitere beantragt (178 WEA). Schon jetzt ist klar, dass in den nächsten zehn bis 15 Jahren mehrere Offshore-Parks zurückgebaut werden müssen.

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) schreibt im Zuge ihrer Genehmigungsverfahren vor, dass nach endgültiger Aufgabe der Anlage der Rückbau stattzufinden hat. Die Lebensdauer solcher Parks ist auf ungefähr 20 Jahre ausgelegt. Die Entsorgung müsse umweltverträglich erfolgen, verlangt das BSH. Allerdings hat das Bundesamt genau diese Vorgabe bislang noch nicht weiter konkretisiert.

Es könne beispielsweise durchaus sein, dass es Sinn mache, Fundamente nicht komplett abzubauen, weil sich dort über die Jahre neue Lebensräume im Wasser gebildet hätten, sagte Vanessa Spielmann, die für die Fakultät Architektur, Bau und Umwelt der Hochschule sprach. Diese wissenschaftliche Disziplinen sind genauso in das Projekt eingebunden wie die Fakultät Wirtschaftswissenschaften, die von Stephan Abée vertreten wurde, der sich unter anderem mit der Frage beschäftigen wird, in welcher Höhe die Windparkbetreiber für ihre Rückbau-Verpflichtung Rückstellungen bilden sollten.

Lesen Sie auch

„Wir müssen uns dem Thema aus allen Perspektiven widmen“, sagte Silke Eckardt von der Hochschule Bremen, die das Projekt koordiniert. Durch die Verbund- und assoziierten Partner sowie den großen Projektbeirat könne das Vorhaben auf eine breite Basis an Stakeholdern zurückgreifen. Außerdem sei das gesamte Projekt offen für weitere Experten, gerade wenn es in Workshops um Themendefinition und Ergebnisauswertung gehe. Ziel sei es unter anderem, einen virtuellen Windpark hinsichtlich des Rückbaus zu definieren, der möglichst viele gemeinsame Schnittpunkte aller Parks der verschiedenen Hersteller beinhalte. Außerdem soll am Ende ein Handbuch erstellt werden, das die rechtlichen, technischen, ökonomischen und ökologischen Anforderungen berücksichtige.

Ein solches Handbuch müsse inhaltlich fortlaufend ergänzt werden und könne sicherlich nicht alle individuellen Facetten eines Windparks bezüglich des Rückbaus berücksichtigen, so Matthias Brandt, Vorstand der Deutschen Windtechnik GmbH, die mit ihren 1200 Mitarbeitern als führender unabhängiger Anbieter für die Instandhaltung von Windenergie-Anlagen in Europa gilt und bereits über Erfahrungen mit dem Rückbau von Windparks an Land verfügt. „Beim Rückbau erlebt man so manche Überraschung. Da soll der Rotorstern abgebaut werden, aber das Anschlagmittel passt nicht – die Dokumentation des Herstellers war einfach falsch.“ Dennis Kruse von der Stiftung Offshore-Windenergie sieht beim Thema Rückbau noch einen weiteren wesentlichen Punkt: Es müsse dafür eine Akzeptanz in der Gesellschaft erreicht werden.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)