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Landwirtschaft Wachsen oder weichen: Das Sterben der Bauernhöfe

Allein in Niedersachsen machen jedes Jahr im Schnitt 620 Bauernhöfe dicht. Unter denen, die durchhalten, sind Quereinsteiger und Nebenerwerbsbauern. Wir haben zwei von ihnen gesprochen.
11.09.2021, 08:15 Uhr
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Wachsen oder weichen: Das Sterben der Bauernhöfe
Von Marc Hagedorn

Einmal hat sich Axel Iben noch ans Mischpult gesetzt. Das war beim Ferdinands Feld Festival. Electrobeats und Technomusik auf dem ehemaligen Flugplatz in Rotenburg an der Wümme. Da hat es sich für Iben fast wie früher angefühlt, als er bei Apassionata, „Schlag den Raab“, „TV total“ oder „Fury in the Slaughterhouse“ für das richtige Licht gesorgt hat. „War mal wieder schön“, sagt Iben. Aber eine einmalige Sache. Ein Zurück ins Showgeschäft ist nicht geplant.

Iben, 42, hat längst eine andere Berufung gefunden. Er hat vor mehr als zehn Jahren vom Lichttechniker auf Landwirt umgesattelt. Statt weiterhin an über 230 Tagen im Jahr in halb Europa auf Tour zu sein, kehrte er nach Hause zurück, auf den Hof der Eltern. „Das war eine sehr bewusste Entscheidung damals“, sagt er. Mit dem Wissen von heute allerdings frage er sich manchmal schon, ob er noch einmal so entscheiden würde, sagt er.

Die Bauern in Deutschland haben es schwer. Fast jeder acht Landwirt hat in den vergangenen zehn Jahren aufgegeben. Die Zahl der Höfe ist bundesweit seit 2010 um 35.600 zurückgegangen. Das sind jedes Jahr 3560 Betriebe, die dicht machen, knapp zehn pro Tag, davon fast zwei in Niedersachsen. Wer wird heute noch Landwirt?

Leute wie Iben zum Beispiel. Quereinsteiger. Die Berufsverbände und Landwirtschaftskammern haben längst erkannt, dass sie für Leute wie Axel Iben etwas tun müssen. Als Ibens Vater Werner 2008 entscheidet, den Hof zu vergrößern, sagt der Sohn: Okay, ich bin dabei. Es ist der zweite Anlauf, Landwirt zu werden. Mit 16 hat er schon einmal angefangen, Landwirtschaft zu lernen. Aber eine Rinderhaar-Allergie macht ihm die Ausbildung unmöglich. Er wird erst Kfz-Mechaniker, dann Veranstaltungstechniker.

Zwei, drei Jahre arbeitet er nach seiner Rückkehr auf dem elterlichen Hof mit, aber er ist nicht ganz zufrieden. „Ich habe gemerkt: Mir fehlt so viel Wissen über grundlegende Dinge“, sagt er. Also holt er die Ausbildung zum Landwirt nach. In einem Crash-Kurs. Das bietet die Landwirtschaftskammer an, zwölf Wochen in Vollzeit, an drei Schulen; drei Wochen Milchviehhaltung am Landwirtschaftlichen Bildungszentrum in Echem im Landkreis Lüneburg; eine Woche Schweinezucht an der Aus- und Weiterbildungsstätte Wehnen zwischen Oldenburg und Bad Zwischenahn; die restliche Zeit Agrartechnik und Wirtschaft bei der Deula, einem Bildungszentrum in Nienburg. Acht Stunden jeden Tag.

17 Leute sind sie damals, zwischen 25 und 50 Jahre alt, Männer und Frauen. Quereinsteiger wie Iben. Leute, die eingeheiratet haben in Bauernfamilien, Leute, die sich mit der Landwirtschaft ein zweites berufliches Standbein aufbauen wollen. „Eine schöne Zeit, aber auch eine harte Zeit“, sagt Iben. Das, was angehende Landwirte sonst in zwei Jahren an der Berufsschule lernen, pauken sie innerhalb von drei Monaten. Alternativ hätten die Kursteilnehmer ihren Abschluss auch berufsbegleitend über zwei Jahre machen können, vorausgesetzt sie bringen mehrjährige Erfahrung in der Landwirtschaft mit. An der BBS Verden startet nach den Herbstferien wieder ein Kurs.

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Auf Ibens Hof in Ganderkesee leben 400 Bullen und 175.000 Hähnchen. Seine Allergie hat Iben in den Griff bekommen, in den Stall geht er nur mit Mundschutz. Schwieriger in den Griff bekommt der Berufsstand, was Politik und Gesellschaft von ihm verlangen. „Immer neue Auflagen und Anforderungen bedrohen die Existenz von immer mehr landwirtschaftlichen Betrieben“, sagt Niedersachsens Bauernpräsident Holger Hennies, „das ist ein deutliches Warnsignal.“

Mehr Tierschutz, schärfere Düngevorgaben, niedrige Preise für Milch und auf dem Schweinemarkt. Die Hälfte aller Sauenhalter in Deutschland hat seit 2010 aufgegeben, ein Drittel aller Milchbauern hat im selben Zeitraum aufgehört. „Politik und Gesellschaft müssen gegensteuern“, fordert Hennies, „wir Landwirte brauchen klare Perspektiven für die Zukunft. Wir denken in Generationen. Investitionen müssen sich lohnen.“

Wer heute überleben will, schafft es oft nur, indem er größer wird; mehr Land bewirtschaftet, mehr Tiere in den Stall stellt. Die Zahl der Höfe nimmt ab, die Größe der Betriebe nimmt zu. Wachsen oder weichen, das ist unter Landwirten seit Jahren ein geflügelter Satz. Auch Ibens Hof ist mit der Zeit gewachsen, heute bewirtschaftet die Familie 200 Hektar.

Das Paradoxe: Genau so eine Entwicklung wollen Politik und Gesellschaft eigentlich gar nicht. Das Wunschbild, so zeigen Umfragen und so erklären es die Parteien gern, sind nicht wenige große, sondern viele kleine, am liebsten familiengeführte Höfe. Aber unter diesen Bedingungen? „Man gibt sich als Landwirt unheimlich Mühe“, sagt Iben, „man macht und tut, aber nie scheint es richtig zu sein.“

Vor allem auf Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sind die Bauern nicht gut zu sprechen. Beispiel Schweinekrise: „Ein völlig aus den Fugen geratener Markt und das Versagen der Bundespolitik, verlässliche und erfüllbare Vorgaben zu erlassen, zwingen die Halter und Mäster in die Knie“, sagt Landvolkchef Hennies, „das kann und darf so nicht weitergehen. Wir brauchen endlich Bestimmungen, die den Betrieben das Überleben sichern.“

Seit mehr als zwei Jahren gehen Landwirte bundesweit für ihre Anliegen auf die Straße. Auch Iben war bei den sogenannten Treckerdemos dabei, in der Bremer City und in Hamburg. Iben ist nach wie vor gern Landwirt. Aber er sagt auch: „Im Moment macht es keinen Spaß.“ Er hat in seinem Bekanntenkreis mehrere Kollegen, die Milchvieh und Schweine halten. Er wünscht ihnen, dass sie durchhalten und ihre Höfe nicht aufgeben müssen.

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