Bremen-Nord. Zahlt Bremen massenhaft Warmkosten für Hartz IV-Wohnungen in großer Höhe? Und gehören Nachforderungen des Immobilienkonzerns Vonovia SE aus Bochum im vierstelligen Bereich zum Alltag? Interne Verwaltungsunterlagen, die sich mit dem Beispiel Lüssumer Heide befassen, liefern dazu Einblicke.
In Lüssum, wo die Zahl der Sozialempfänger und Hartz-IV-Bezieher besonders hoch ist, hat Deutschlands größter privater Vermieter nicht den besten Ruf. Es stößt mittlerweile nicht nur Mietern, sondern auch Anwälten und Behördenvertretern negativ auf, dass das Unternehmen extrem hohe Heiz- und Betriebskosten zum Teil selbst für Wohnungen berechnet, die wegen Schimmelbefalls praktisch nicht mehr bewohnbar sind. Nach internen Verwaltungspapieren, die der Redaktion vorliegen, belaufen sich Rückstände durch Heizkostennachforderungen allein für 15 Wohnungen auf gut 27 000 Euro. Zahlen müssen in der Regel Jobcenter und Sozialbehörde.
Nazire Panhans deutet mit Tränen in den Augen auf die Umzugskartons in ihrem Wohnzimmer. „40 Jahre habe ich hier gewohnt. Ich und mein Mann, wir sind hier alt geworden“, sagt die türkischstämmige Frau. Beide hätten ihr Leben lang für dieses Zuhause gearbeitet. Nun geben sie die Wohnung auf. Sie hält den Gestank nicht mehr aus. Beißender Schimmelgestank, der jedem in die Nase sticht, der die kleine Wohnung mit den gemusterten Teppichen und den liebevoll dekorierten Wänden betritt.
Seit der Eigentümer der Anlage gewechselt hat, regt sich Nazire Panhans auf. Erst über Sperrmüll in der Wohnanlage. Dann, 2016, über den Wasserschaden, der das Treppenhaus flutete und um den sich niemand kümmerte. Immer wieder habe sie beim Callcenter angerufen und sich beschwert: „Ich habe so gekämpft.“ Erfolglos.
„Leider konnten wir in dem Fall die Dachsanierung, die zur Beseitigung der Wasserschäden nötig war, witterungsbedingt nicht direkt umsetzen. Uns ist bewusst, dass das für die Mieterin Umstände bedeutet – das bedauern wir sehr“, sagt Vonovia-Pressesprecher Max Niklas Gille. Der Schaden, verspricht er, solle behoben werden, sobald die Mieterin Zutritt zur Wohnung gewähre.
Nach Darstellung des Konzerns sind die Wohnungen in der Lüssumer Heide in einem „marktüblichen Zustand“. Seit der Bestand Teil von Vonovia sei, sei das Unternehmen in Blumenthal aktiv. „So haben wir bereits viele Leerwohnungs-Sanierungen durchgeführt und uns der Sperrmüll-Thematik im Viertel angenommen. Unser Ziel ist es, dass unsere Mieter sich wohlfühlen. Deswegen werden wir auch bei Schadensmeldungen in der Regel tätig“, so der Vonovia-Sprecher weiter. Leider seien viele Schäden in der Vergangenheit aber nicht gemeldet worden.
An dieser Stelle driften Darstellungen des Unternehmens und Mieter der Blocks auseinander. Im Quartier hat sich der Eindruck verfestigt, dass sich der Immobilienkonzern, dessen Gewinn im ersten Halbjahr 2017 auf rund 458 Millionen Euro angewachsen sein soll, nicht gerade darum reißt, Mängel in den 224 Wohnungen zu beseitigen. So finden sich in internen Verwaltungsunterlagen rund 15 Beispielfälle von mängelbehafteten Wohnungen. In den Papieren ist von Schimmel, von defekten Fenstern und Türen, sogar von „Löchern in der Wand“ und lockeren Toiletten die Rede.
Viele verärgerte Mieter landen bei Quartiersmanagerin Heike Binne im Haus der Zukunft. Oft hat sie versucht, sich für die Bewohner stark zu machen, doch ohne durchschlagenden Erfolg: „Wir diskutieren hier seit zwei Jahren Einzelfälle.“ Heike Binne spricht von einem Sanierungsstau und davon, dass es in dem Gebiet mit 480 Kindern seit Frühjahr nicht einmal mehr einen eigenen Spielplatz gibt. Arbeiter montierten das morsche Klettergerüst kürzlich ab. Es war nicht mehr verkehrssicher.
Wer kann, zieht hier weg. Sagt Heike Binne. Die Lüssumer Heide gilt seit Jahrzehnten als ökonomisch schwaches Gebiet. Hier leben viele Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Wohnen in der Lüssumer Heide ist dennoch alles andere als billig. Wegen teurer Heiz-und Betriebskosten.
Heizung lässt sich nicht abstellen
Nach nichtöffentlichen Verwaltungsunterlagen zahlt eine siebenköpfige Familie für eine 80 Quadratmeter große Wohnung 1058 Euro Miete, da die monatliche Vorauszahlung der Heizkosten bei 366 Euro liege und die Betriebskosten mit 259 Euro zu Buche schlagen. Wie aus dem Papier ebenfalls hervorgeht, könne die Familie wegen des starken Schimmelbefalls aber nur im Wohnzimmer schlafen. Die Heizungen in der Wohnung seien allesamt defekt: Entweder sie seien nicht abzustellen oder blieben kalt.
Der Vonovia ist nach eigener Darstellung daran gelegen, dass die Abrechnungen für die Heizkosten nachvollziehbar sind. Gemeldete Mängel an Heizungen würden umgehend beseitigt. „Dauerläufer“, also Heizungen, die sich nicht abstellen lassen und somit hohe Verbrauchswerte verursachen, seien ein bekanntes Phänomen bei der Vonovia, heißt es hingegen aus Kreisen der Sozialbehörde.
Mitarbeitern des Amtes für Soziale Dienste ist aufgefallen, dass „extrem hohe Kosten anfielen, die unter normalen Umständen so nicht zustande kommen könnten“. Rechtlich, sagt Bernd Schneider, Sprecher des Bremer Sozialressorts, sei es so, dass die Heizkosten in tatsächlicher Höhe für Leistungsbezieher vom Amt übernommen werden müssen. „Auf der anderen Seite sind hier teils Heizkosten in astronomischer Höhe angefallen, die auch erkennbar nicht der Mieter zu vertreten hat. Die Übernahme dieser Kosten verweigern wir und sind dabei auch im direkten Kontakt mit dem Vermieter.“ Es sei inzwischen einiges in Bewegung geraten.
Ein Problem für die Behörden dürfte sein, dass bezahlbarer Wohnraum auch in Bremen-Nord langsam knapp wird. „Wir verzeichnen viele Umzüge aus dem Stadtgebiet nach Nord“, sagt der Chef der Vegesacker Geschäftsstelle des Jobcenters, Volker Wöhlmann. Wie viele Hartz-IV-Bezieher in den 2000 Wohnungen der Vonovia in Bremen-Nord leben, kann er nicht sagen. Laut Wöhlmann würden Mieter im Einzelfall schon mal zur Überprüfung der Abrechnung zur Verbraucherzentrale oder zum Mieterschutzbund geschickt.
„Die Ämter prüfen nichts, da wird einfach gezahlt.“ Diese Erfahrung will Anwalt Gert Brauer vom Mieterschutzbund gemacht haben. Er und seine Kollegen haben bremenweit oft mit Mietern der Vonovia zu tun: „Probleme mit den Betriebskostenabrechnungen und Mängeln, die von der Vonovia nicht beseitigt werden, machen ein Großteil unserer Beratungstätigkeit aus.“ Er habe den Eindruck, dass ständig neue Positionen bei den Betriebskosten „erfunden“ werden: „Was früher Gartenpflege war, wird heute als Heckenpflege, Baumkronenbesichtigung, Wegereinigung und Straßenreinigung abgerechnet. Es ist so, dass man schnell die Übersicht verliert.“
Riesiges Loch in der Wand
Auch Anwalt Holger Gautzsch vom Verein „Mieter helfen Mietern“ kennt Probleme mit „überhöhten Betriebskosten“ aus der Beratung. „Den Fall, dass es hohe Nachzahlungen gab und das Jobcenter gezahlt hat, gibt es. Mehrfach.“ Auf eine gerichtliche Auseinandersetzung zu Widersprüchen lässt sich die Vonovia offenbar selten ein. Gert Brauer: „In den meisten Fällen kommt es nicht zu Gerichtsverfahren. Wenn man Widerspruch einlegt, kommt nichts. Wenn man Belege zur Prüfung anfordert, werden sie nicht geschickt oder es dauert bis zu einem Jahr. Wenn man dann noch einmal nachfasst, kommt nichts mehr.“
Glenn Godoy-Sagredo gehört zu denen, die erst vor wenigen Wochen in die Lüssumer Heide gezogen sind. Doch der vierfache Familienvater wünschte schon jetzt, er wäre gar nicht erst hergezogen. „Ich bin gelernter Koch und muss jetzt Pizza bestellen“, regt er sich auf. Anstelle einer neuen Küchenzeile klafft ein riesiges Loch in der Wand. „Das war angeblich ein Wasserschaden, aber ich habe herausgefunden, dass der Schaden schon vorher da war.“
Glenn Godoy-Sagredo weiß nicht, wann die Arbeiter zurückkommen: „Es kommt keiner und es ist keiner zu erreichen.“ Dabei hätte der neue Mieter noch viel zu besprechen. Glenn Godoy-Sagredo würde seinen Vermieter fragen, wann die Zimmertüren repariert werden, wann Heizung und Fenster im Kinderzimmer in Ordnung gebracht werden und warum er den Trockenraum nicht nutzen darf, obwohl das im Mietvertrag steht.
Und er würde fragen, wo er seine Kinder und das Geschirr waschen soll, wenn nun wegen eines weiteren Wasserschadens auch noch die Badewanne entfernt werden müsse. Sorgen macht ihm vor allem der zeitliche Ablauf dieser Maßnahmen: „Ein Monteur hat gesagt: ‚Mit Weihnachten wird es dies Jahr nichts.‘“ Die Vonovia will ihnen nun eine Entschädigung anbieten.