Die Sozialbehörde will vom nächsten Frühjahr an einen neuen Ansatz bei der Beseitigung von Obdachlosigkeit erproben. Das Konzept nennt sich „Housing first“ und zielt auf Personengruppen, die sich oft schon längere Zeit in Notunterkünften aufgehalten haben und bei denen sich viele Probleme ballen, wie etwa Suchtverhalten, Krankheit, Schulden oder unsichere Bleibeperspektive im Zuge eines Asylverfahrens.
Der Leitgedanke von „Housing first“ drückt sich in dem Anglizismus bereits aus: erst eine Wohnung, dann alle anderen Probleme angehen – nicht umgekehrt. In den USA, aber auch in einigen deutschen Kommunen wie Berlin, Düsseldorf und Karlsruhe wurden mit dem Modell bereits positive Erfahrungen gesammelt. Ziel ist es, Wohnungslose mit Mietverträgen von Privatvermietern oder Immobiliengesellschaften auszustatten, statt sie in kommunale Wohnungen oder Notunterkünfte einzuweisen. In ihren eigenen vier Wänden sollen sie sich dann sozial stabilisieren, wozu auch eine auf den individuellen Bedarf abgestimmte Betreuung durch Sozialarbeiter beiträgt.
Normalerweise – darüber ist sich die Sozialbehörde im Klaren – hätte der genannte Personenkreis auf dem Wohnungsmarkt kaum Chancen. Potenziellen Vermietern sollen deshalb finanzielle Anreize und Absicherungen in Aussicht gestellt werden. Die Stadt will sogenannte Belegrechte an Wohnungen erwerben, ausgelegt auf einen Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren.
Pro Wohnung ist eine Einmalzahlung zwischen 10.000 und 15.000 Euro an den Vermieter angedacht. Sie ergibt sich aus der Differenz der am Markt erzielbaren Miete für das Objekt und dem Betrag, den die Sozialbehörde normalerweise für Kosten von Unterkunft erstattet. Auch sollen Schadensrisiken wie Vandalismus und sonstiges Fehlverhalten der Bewohner abgedeckt sein. Insgesamt wird ein Volumen von rund 150 Wohnungen angepeilt, 2,275 Millionen Euro sollen hierfür bereitgestellt werden.
Mobile Betreuungsteams
Viele geeignete Wohnungen für die beschriebene Zielgruppe gibt der Bremer Markt zurzeit nicht her. Die Sozialbehörde will daher nicht nur im Bestand suchen, sondern auch mit Wohlfahrtsverbänden über deren Bereitschaft sprechen, eigene Bau- oder Umnutzungsprojekte für „Housing first“ in Angriff zu nehmen. Auch auf die Gewoba setzt man im Haus von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) gewisse Hoffnungen.
Von der Aufnahme in das Programm will die Behörde offenbar nur einen recht kleinen Personenkreis ausschließen. Etwa dann, wenn bei den Wohnungslosen so akute psychische Erkrankungen vorliegen, dass eine Selbst- oder Fremdgefährdung denkbar wäre. Auch die Fähigkeit zu Kommunikation und Absprachen müsse gegeben sein, heißt es in einer Vorlage für die Sozialdeputation, die sich am kommenden Donnerstag mit den Plänen befasst. Die soziale Betreuung der „Housing-first“-Mieter will die Sozialbehörde einem Projektträger übertragen. Dessen mobile Teams sollen die ehemaligen Obdachlosen in ihren neuen Wohnungen, aber auch außerhalb aufsuchen und in den ersten 24 Monaten eine enge Begleitung sicherstellen.
Senatorin Stahmann ist zuversichtlich, mit „Housing first“ einen Personenkreis zu erreichen, der sich den üblichen Unterbringungsangeboten der Sozialbehörde schwertut. „Obdachlosigkeit ist eine schwere Belastung für die Betroffenen. Sie geht in der Regel mit bitterer Armut, sehr begrenzter gesellschaftlicher Teilhabe und schwerwiegenden Gesundheitsproblemen einher“, sagte Stahmann dem WESER-KURIER. „Wir sollten daher nichts unversucht lassen, den Menschen zu einem Dach über dem Kopf zu verhelfen.“
Wer auf der Straße lebt, hat häufig nur eingeschränkten Zugang zu sanitären Anlagen. Auch hier will die Sozialbehörde für Besserung sorgen. Gedacht ist an die Beschaffung eines sogenannten Duschbusses, der in den Stadtteilen die Aufenthaltsorte von Wohnungslosen ansteuert. Geplant ist, für rund 100.000 Euro ein solches Fahrzeug anzuschaffen. Bis 2022 würde der Betrieb weitere 20.000 Euro kosten, die Personalkosten für die Betreuung des Angebotes werden auf rund 120.000 Euro geschätzt. Sowohl für „Housing first“ als auch für den Duschbus muss die Finanzierung im städtischen Haushalt erst noch gesichert werden.