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"Ick bün siet gestern bi Mißler"

Altstadt·Walle. Diese Briefe sind ein kleines Wunder. Bremer Gestapogefängnisse, das Konzentrationslager Mißler, die Ostertorwache, waren Orte der Kälte. Was Heinrich Buchholz aus der Haft an seine Frau Guste und an seine Tochter Lore schrieb, war warm, nichts als Hoffnung, Liebe und Humor. Jeder einzelne Satz, jede Zeichnung, auch das Ungesagte brachte ihn seiner Familie näher und bringt ihn heutigen Lesern so nah, als wäre er unter ihnen.
17.02.2011, 05:00 Uhr
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Von Monika Felsing

Altstadt·Walle. Diese Briefe sind ein kleines Wunder. Bremer Gestapogefängnisse, das Konzentrationslager Mißler, die Ostertorwache, waren Orte der Kälte. Was Heinrich Buchholz aus der Haft an seine Frau Guste und an seine Tochter Lore schrieb, war warm, nichts als Hoffnung, Liebe und Humor. Jeder einzelne Satz, jede Zeichnung, auch das Ungesagte brachte ihn seiner Familie näher und bringt ihn heutigen Lesern so nah, als wäre er unter ihnen.

Aus den zärtlichen Briefen des Waller Kommunisten, Agit-Prop-Leiters und Familienvaters, der 1953 als Elternvertreter der Schule Schleswiger Straße bei Bauarbeiten im Schullandheim in Verden tödlich verunglückte, ist ein Buch geworden, dessen Lektüre tief berührt, nachdenklich macht und immer wieder schmunzeln lässt: "Na, Lütten? Briefe aus dem Konzentrationslager und Zuchthaus 1933-1937". Die Briefsammlung im Bremer Platt ist nicht nur als Zeugnis der Menschlichkeit beeindruckend, sondern auch als Quelle aus der Bremer Arbeiterbewegung und dem Widerstand gegen die Nazis. "Ein einmaliges Buch", sagt Reinhard Golz vom Institut für Niederdeutschen Sprache. "Es gibt sonst keine Zeugnisse aus dem KZ, die in Plattdeutsch geschrieben sind."

Na, Lütten? Wie is't? Is noch alls in Lot? Ick bün siet gestern bi Mißler. Kannst mi den mol besöken, 's namsdag von 3-5. (...) Na, denn hol Di hart, un bäter Di. Vor allen Dingen, falls Du mol schrieben wullt, kiek jedes Wort an. Dien letzten Breef heff ick ok nich krägen. Dor büst woll son bäten utrutscht, wat?" (22. April 1933, Konzentrationslager Mißler)

Fast vier Jahre hat der Donat-Verlag an der zweisprachigen, reich bebilderten Ausgabe gearbeitet, fast so lange, wie Heinrich Buchholz in Haft war. Als das Buch bei Leuwer am Wall vorgestellt wurde, las Lore Buchholz (83) einige der Briefe vor, die sie in krakeliger Kinderschrift an ihren "Papa" geschrieben und auf die ein NS-Bürokrat einen Eingangsstempel gedrückt hatte. Im Buch sind sie im Faksimile abgebildet. Heinrich Hannover (85), der das Geleitwort verfasst hat, zitierte bei Leuwer aus den Briefen des Vaters. Der Worpsweder Autor und Anwalt hat ihn zwar nicht gekannt, wohl aber seinen Schwiegersohn Gerd Lieberum. Er verteidigte ihn in der Adenauer-Ära, als Kommunisten in Deutschland wieder wegen ihrer Überzeugung vor Gericht standen, und er macht keinen Hehl daraus, was er darüber denkt: "Eine Schande!"

"Dunnerlüchting, Lütten! Hest Di dat all mol richtig öberleggt? Wi sünd nu all acht Johr in eenen Törn verheirot. Acht Johr, ohne Unnerbräkung, dat heet, bit op dat leßte 1/4 Johr. Ick nehm an, datt Du den Breef just op'n 25. kriegen deihst, an'n Hochtiedsdag. Dor kannst an sehn, datt ick'n Barg Tied heff, an sowat to denken." (23. Juli 1933, Konzentrationslager Walsroder Straße)

Seiner Tochter schrieb Heinrich Buchholz auf Hochdeutsch, seiner Frau Guste ("mien Lütten") auf Platt. "Ein völlig unverkrampftes Plattdeutsch, authentisches Bremer Platt, so geschrieben, dass es jeder in Norddeutschland lesen kann. Es hört sich so an, als wenn er neben einem sitzt und einem was erzählt", staunt auch Reinhard Golz. "In so einer Situation so befreit zu schreiben, zu zeigen: Das könnt ihr mir nicht nehmen..."

"Min leew' Lütting! Dat is'n harten Slag, datt ick nu nochmal wedder insperrt bün. Ick hoff, datt sick die Sake bold klärt, und ick wedder nah Hus komen kann. Darum lat den Mot nich sinken, nimm Din Hart tosamen, und grübel nich to väl, sodatt ick'n gesunne, frische Fro dräpen doh, wenn ick nah Hus kam. (15. August 1934, Gefangenenhaus Am Wall 209, Gestapogefängnis).

Auch Guste Buchholz wurde von der Gestapo in Haft genommen. Ihr Mann erlitt einen Nervenzusammenbruch, als ihm seine Wärter glauben machten, seiner Frau gehe es schlecht. In seinem Brief nach ihrer Entlassung ist davon wenig zu spüren:

"Mien leew Lütten! Mi ist doch for'n Momang de Spucke wegbläben, as ick dat to wäten kreeg, datt Du ok inspunnt wörst, un us lütt Lore alleen to Hus seet. Ick harr jo geern 4 Wäken dorfor länger säten, wenn ick Di dorvon harr befreen künnt; aber dat güng jo nu mal nich. Dat musst all upp mien Schuldkonto schrieben, Lütten, un wenn ick denn wedder nah Hus kam, treckst mi dorfor de Büx stramm." (5. Oktober 1934)

Die Ostertorwache, in der Heinrich Buchholz 1934 einige Zeit inhaftiert war, ist heute als Wagenfeld-Haus ein Designmuseum mit Gedenkstätte. Kleine Ironie der Geschichte: Wilhelm Wagenfeld, auch er ein Nazi-Gegner, war Gustes Bruder, Lores Onkel, Heinrichs Schwager. Aber das bleibt, angesichts der Briefe, eine Randnotiz in einer Bremer Familiengeschichte.

Heinrich Buchholz, "Na Lütten?", viele plattdeutsche Briefe mit hochdeutscher Übersetzung, zahlreiche Bilder und Faksimiles, Donat-Verlag 2011, fester Einband 16,80 Euro.

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