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Corona-Bekämpfung mit neuen Prioritäten Beschwerden über Bremer Impfkommission häufen sich

Die Bremer Impfkommission soll darüber entscheiden, ob Menschen mit schweren Vorerkrankungen früher als geplant gegen Covid-19 geimpft werden können. Das System hat allerdings seine Tücken.
28.02.2021, 05:00 Uhr
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Beschwerden über Bremer Impfkommission häufen sich
Von Joerg Helge Wagner

Bernd Fieke geht es gesundheitlich schlecht: Ende 2011 hatte der heute 74-Jährige eine Bypass-Operation, im Mai 2019 musste ihm ein Karzinom an der linken Niere entfernt werden, zudem leidet er unter allergischem Asthma. Deshalb beantragte er am 3. Februar bei der neuen Bremer Impfkommission zu prüfen, ob für ihn eine frühere Impfung gegen eine Covid-19-Erkrankung möglich sei. Die Antwort erhielt er knapp drei Wochen später, am 23. Februar – und sie machte ihn fassungslos.

Besonders ärgert ihn, dass der Impfkommission seine vorgelegten ärztlichen Dokumente nicht ausreichen. Die dürfen nämlich nicht älter als vier Wochen sein – so verlangt es das „Bremische Ausführungsgesetz zur Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2“. Der chronisch herzkranke Bernd Fieke findet das für seinen Fall absurd: „Die Erkrankungen verschwinden doch nicht! Sie sind doch da und nachgewiesen“, erregt er sich in einer Antwortmail an die Kommission. Also müssten die Experten dort doch in der Lage sein, auch anhand der eingereichten Unterlagen eine Entscheidung zu treffen.

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Kein Verständnis hat Fieke auch für die Bitte der Impfkommission, jeweils die Notfall-Handynummern seiner Ärzte mitzuteilen. Unter diesen Nummern sollten die Mediziner laut Mail der Kommission in den Nachmittagsstunden auch freitags erreichbar sein, „falls Rückfragen zum Krankheitsbild/-verlauf notwendig sein sollten“. Die Tatsache, dass die Bremer Impfkommission nur einmal wöchentlich am Freitagnachmittag Entscheidungen trifft, hat ohnehin bei zahlreichen Lesern für Verwunderung gesorgt. Dies vor allem angesichts von Meldungen, dass bei der Kommission in wenigen Tagen mehr als 1000 Anträge eingegangen seien, in den Freitagssitzungen aber lediglich über 15 entschieden worden ist.

Lukas Fuhrmann räumt ein, dass anfangs „das Postfach explodiert ist“ – allerdings schildert der Sprecher der Gesundheitsbehörde auch, dass die allermeisten Anträge von vornherein unberechtigt waren: „Da haben Verbände sämtliche Mitglieder summarisch angemeldet. Zudem gab es Anträge von über 80-Jährigen, die ohnehin bald geimpft werden.“ Bislang habe man noch nicht alle Zuschriften beantworten können. Am Ende seien aber nur 126 vollständige Anträge übrig geblieben. Von denen hatte die Impfkommission bis Freitag 76 abgearbeitet, 44 wurden positiv beschieden.

Absolut eindeutig

Darunter sollte nun eigentlich auch der Antrag von Bernd Fieke sein, denn laut Fuhrmann erfüllt er „absolut eindeutig“ alle Kriterien, um nach der neuen Impf-Verordnung mit der zweithöchsten Priorität behandelt und entsprechend zügig geimpft zu werden. Die Verordnung nennt nämlich ausdrücklich Menschen mit chronischen Lungen- oder Nierenerkrankungen sowie Krebspatienten – auch wenn deren Erkrankung zwar überstanden ist, aber weniger als fünf Jahre zurück liegt.

Warum dann aber die Vier-Wochen-Frist für ärztliche Dokumente, wenn der Fall so eindeutig ist? Und weshalb sollten die Antragsteller auch noch die Handy-Nummern ihrer behandelnden Ärzte mitteilen? „Die Vier-Wochen-Regelung ist relativ pauschal“, räumt Fuhrmann ein. „Wir mussten eine tragfähige Regelung für möglichst alle Fälle finden – etwa auch für solche, wo eine Operation schon länger her ist.“ Da seien Rückfragen bei den Ärzten schon manchmal sinnvoll. Über ein Verzeichnis von Notfall-Handynummern der Bremer Ärzteschaft verfüge weder die Gesundheitsbehörde noch die Impfkommission. „Das sind ja zum Teil auch private Nummern“, begründet Fuhrmann diesen Umstand.

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Ab der kommenden Woche solle aber ohnehin alles besser und schneller werden. Eine neue Geschäftsstelle bearbeite dann alle Fälle, die so eindeutig sind wie der von Bernd Fieke. Entsprechende Anträge würden nun rasch positiv beschieden. Sonderfälle, bei denen die Vorerkrankungen nicht so präzise in der Impf-Verordnung definiert sind, wären weiterhin bei der Impfkommission richtig angesiedelt.

In Zuschriften an der WESER-KURIER beklagen mehrere Antragsteller, dass es Wochen dauere, bis sie eine Reaktion von der Impfkommission erhalten. Einer fragte schließlich telefonisch nach, und erfuhr dann, dass seine Mail nicht mehr auffindbar sei. Ihm sei dann empfohlen worden, einen neuen Antrag zu stellen. „Das ist ein bedauerlicher Einzelfall, aber nicht die Regel“, beteuert Fuhrmann. Grundsätzlich könne es aber schon einmal mehr als zwei Wochen dauern, bis ein Bescheid rechtssicher zugestellt sei – etwa, wenn die Kommission sich erst in der Folgewoche nach der Antragstellung damit befasst habe.

Bernd Fieke hat seine eigene Konsequenz daraus gezogen und am Mittwoch seinen Antrag auf einen früheren Impftermin in einer Mail an die Kommission zurückgenommen.

Einzelfallentscheidungen bald auch in Niedersachsen möglich

Eine Impfkommission nach Bremer Vorbild gibt es in Niedersachsen nicht, und eine Einführung ist auch nicht geplant. Trotzdem besteht demnächst auch in Niedersachsen die Möglichkeit, dass Personen bei der Impfpriorisierung in die zweite oder dritte Gruppe aufsteigen können, wenn bei ihnen wegen einer schwerwiegenden Erkrankung ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf besteht. Notwendig ist dafür ein ärztliches Attest. „Für diese Einzelfallentscheidungen stimmt das niedersächsische Sozialministerium mit der Kassenärztlichen Vereinigung und den kommunalen Spitzenverbänden ein Verfahren ab“, heißt es dazu aus Hannover auf Anfrage des WESER-KURIER. „Diese Abstimmungen laufen derzeit.“

Nach und nach schaffen damit immer mehr Bundesländer die Möglichkeit, außerhalb der festgelegten Reihenfolge an frühere Impftermine zu kommen. Zuletzt hat Bayern nach einer Testphase im Landkreis Augsburg eine fünfköpfige Impfkommission für das Land eingeführt. Auch Sachsen-Anhalt macht individuelle ärztliche Beurteilungen seit Mitte der Woche möglich, hier nimmt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eine Einschätzung vor.

Schon kurz nach Start der Impfkampagne hatte es harsche Kritik an den Priorisierungsgruppen gegeben, vor allem junge Risiko­patienten hatten sich übergangen gefühlt. Es war in fast allen Bundesländern zu Klagen gekommen, die von den Gerichten höchst unterschiedlich entschieden worden waren. Bereits im Januar hatte die Ständige Impfkommission deshalb empfohlen, die Impfverordnungen in den Ländern um Härtefallentscheidungen zu ergänzen, was jetzt nach und nach geschieht.

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