Die neue, seit Montag geltende Corona-Impfverordnung gefährdet ein Projekt, mit dem die Bremer Gesundheitsbehörde Menschen mit Vorerkrankungen möglichst einfach die Einladung ins Impfzentrum zukommen lassen will. Dazu strebt das Gesundheitsressort eine Kooperation mit den Krankenkassen an. Die Idee: Aus den Abrechnungsdaten ihrer Versicherten können die Kassen ziemlich genau die Anspruchsberechtigten herausfinden und die Betroffenen anschreiben. Dazu gehören unter anderem Menschen, die an einem chronischen Lungen-, Nieren- oder Leberleiden erkrankt sind oder die an schweren Herz-Kreislauferkrankungen leiden. Diesem Schreiben läge dann der zehnstellige Code der Behörde bei, den man benötigt, um einen Termin im Impfzentrum vereinbaren zu können.
Doch die neue Impfverordnung sieht diese Möglichkeit nicht vor. Im Gegenteil: Sie verlangt ausdrücklich ein ärztliches Zeugnis als Nachweis der Vorerkrankung. „Wir halten es in dieser Pandemie, in der es vor allem um Kontaktvermeidung geht, für eine schwierige Vorstellung, dass damit jetzt Zehntausende aufgefordert werden, die Arztpraxen aufzusuchen, um sich ein Attest zu holen“, kommentiert Jörn Hons von der AOK Bremen und Bremerhaven diese Bestimmung.
Deshalb werde die Kasse das Projekt weiter verfolgen, ungeachtet der Impfverordnung. „Wenn es nach uns ginge, könnten wir die Briefe jetzt losschicken“, sagt Hons. Die rechtliche Grundlage sieht die AOK im Paragraf 20i des Sozialgesetzbuches, der unter dem Eindruck von Corona im vergangenen Mai in das Gesetz geschrieben wurde. Dort heißt es, die Krankenkassen können ihre Versicherten über Schutzimpfungen, auf die sie einen Anspruch haben, versichertenbezogen informieren, sprich: direkt und persönlich anschreiben.
Andere Kassen zeigen sich deutlich zurückhaltender. Die Handelskrankenkasse (HKK) Bremen beispielsweise hat nach anfänglichem Interesse wieder Abstand genommen. „Es existiert keine Rechtsgrundlage, die es uns erlaubt, im Namen der Behörde Einladungen an die priorisierten Empfängergruppen zu versenden, die das als notwendig definierte ärztliche Zeugnis ersetzt“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Analyse der vorliegenden ärztlichen Abrechnungsdaten reicht nach Einschätzung der HKK als Nachweis nicht aus. Die Ersatzkassen haben vorsichtshalber bei ihrer Aufsichtsbehörde nachgefragt, ob sie „Versichertendaten zur Optimierung des Corona-Impfprozesses“ weitergeben dürften.
Versichertendaten werden nicht übermittelt
Tatsächlich ist das gar nicht vorgesehen. „Es werden zu keinem Zeitpunkt Versichertendaten an uns übermittelt“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitsbehörde. Stattdessen will die Behörde unadressierte Anschreiben mit dem Code an die Krankenkassen übergeben, die diese dann an ihre Mitglieder verschickt.
Allerdings ist aktuell auch die Behörde unsicher, ob besagter Paragraf 20i eine Rechtsgrundlage bietet, diese Codes an die Kassen herauszugeben. „Solange dies nur Versicherte einer einzigen Kasse betrifft, geht das keinesfalls“, hatte Fuhrmann gesagt, als sich bereits abzeichnete, dass der Weg der Termineinladungen an die Impfberechtigten durch die Kassen in der neuen Verordnung nicht vorgesehen ist.
Seitdem sprechen Bremer Institutionen des Gesundheitswesens auf Bundesebene an. Denn auch die Ärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) wollen vermeiden, dass betroffene Menschen mit Vorerkrankungen „sämtliche Wartezimmer füllen“, wie es KV-Sprecher Christoph Fox formuliert. „Wir begrüßen das Vorhaben darum ausdrücklich“, sagt er. Dementsprechend habe man auch in der kassenärztlichen Bundesvereinigung darüber informiert, inklusive der rechtlichen Probleme.
Zuletzt hatte Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) das Thema bei einer Telefonkonferenz mit ihren Länderkollegen und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angesprochen. Der will nun in einem Brief an die Bremer Behörde darlegen, dass sein Ministerium die Rechtseinschätzung teilt, dass Impfverordnung und Paragraf 20i das Vorhaben ermöglichen.
Ob dadurch weitere Krankenkassen überzeugt werden, ist noch offen. „Am einfachsten wäre es natürlich, die Impfverordnung wird entsprechend angepasst“, sagt Bernhard.