Abends im Viertel: Junge Leute ziehen von Bar zu Bar, andere stehen vor den Imbissen, essen Döner, Hotdogs oder trinken Kiosk-Bier. Auf den ersten Blick ist zwischen Sielwallkreuzung und Ziegenmarkt alles wie immer. Aber spätestens seit der Auseinandersetzung, bei der vor gut drei Wochen ein junger Mann getötet und ein anderer schwer verletzt wurde, diskutiert Bremen über die Sicherheit im Viertel. Vor allem die Lage rund um die Helenenstraße beschäftigt die Polizei. Die hat es dort offenbar mit einer relativ neuen kriminellen Gruppe zu tun.
Rund um die Rotlichtmeile habe sich in den vergangenen Monaten die Lage deutlich verschlechtert, berichtete Dirk Fasse, Vizepräsident der Polizei Bremen, jüngst in einer Sitzung der Innendeputation. „Das ist jetzt ein Brennpunkt. In den vergangenen Jahren hat uns diese Ecke sehr viel weniger Sorgen bereitet.“ Schon deutlich vor dem Tötungsdelikt habe die Polizei eine Analyse gestartet, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Das Ergebnis: Mehr Diebstähle, mehr Raubüberfälle – und bei Gewaltdelikten eine Steigerung um 17 Prozent. Die meisten Straftaten ereignen sich demnach im Eingangsbereich zur Helenenstraße. Die Polizei hat es dort offenbar mit einer Gruppe junger Täter zu tun. Fasse nannte sie „herausgewachsene unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“. Die mittlerweile volljährigen Männer begingen vor allem sogenannte Antanzdiebstähle. In den Abendstunden habe es die Gruppe vor allem auf angetrunkene Freier abgesehen. Denen klauten die Männer regelmäßig Geld, Handys und andere Wertgegenstände, so Fasse. Zudem handelten einige von ihnen im Eingangsbereich der Rotlichtmeile auch mit Drogen.
Verschiedene Maßnahmen
Die Frage des SPD-Politikers Sükrü Senkal, ob die Täter vielleicht vom Bahnhof ins Viertel abgewandert seien, verneinte der Polizei-Vizepräsident: „Das ist eine neue Gruppe, die uns etwa seit Mai dieses Jahres beschäftigt.“ Die Fluktuation sei hoch: Manche Täter würden inhaftiert oder abgeschoben, aus anderen Bundesländern kämen aber auch neue hinzu.
Wenn die Polizei auftaucht, sind sie meist schnell verschwunden. Laut Fasse nutzen sie unter anderem ein kleines Laufhaus am Anfang der Helenenstraße, um sich vor den Beamten zu verstecken. „Das macht den Zugriff schwierig“, sagte Fasse. Ferner dienten auch drei Gaststätten an der Straße Vor dem Steintor als solche Rückzugsorte.
Die Sexarbeiterinnen in der Helenenstraße fühlen sich offenbar nicht mehr so sicher wie noch vor noch ein paar Monaten. Eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle Nitribitt sagte vor Kurzem im Gespräch mit dem WESER-KURIER, die Drogendealer würden direkt hinter dem Sichtschutz am Eingang zur Helenenstraße ihre Ware anbieten und den Bereich als Versteck vor der Polizei nutzen. „Das stört die Frauen und ist nicht gut fürs Geschäft, weil die Freier wegbleiben“, so ihre Einschätzung.
Mit verschiedenen Maßnahmen versucht die Polizei nun, die Lage zu verbessern. „Wir reagieren abends und an den Wochenenden mit verstärkten Einsätzen“, sagte Fasse. Seit vergangenem Wochenende werden der Eingang zur Helenenstraße und der Ziegenmarkt mit mobilen Scheinwerfern, sogenannten Powermoons, ausgeleuchtet. Weil der Einsatz dieser mobilen Tageslichtstrahler langfristig nicht möglich ist, arbeitet die Polizei in Absprache mit anderen Behörden bereits an einem neuen Lichtkonzept für das Areal. Die Maßnahmen hätten bereits Wirkung gezeigt, teilte die Polizei am Freitag mit: Die Zahl der Gewaltdelikte im Bereich des Ziegenmarktes und der Helenenstraße sei in den vergangenen Wochen rückläufig.
Erbärmliche Verhältnisse
Das Innenressort prüft eine Deklarierung des Viertels als Waffenverbotszone sowie den Einsatz einer mobilen Videoüberwachungsanlage. Zur Aufklärung von Straftaten wäre diese eine große Hilfe, meint Fasse. „Wir können ja nicht rund um die Uhr vor Ort sein.“ Die Helenenstraße gehört nach Polizeiangaben zum öffentlichen Raum. Zuständig ist das Amt für Straßen und Verkehr. Gleiches gilt für die Mauer im Eingangsbereich und die Sichtschutzbarrieren dahinter. Diese dienten zurzeit weniger dem Schutz der Sexarbeiterinnen, sondern in erster Linie den Kriminellen als Schutz vor der Polizei, beklagte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) in der Sitzung der Innendeputation. „Sie nutzen vor allem denen, die Freier abziehen und Gewalt ausüben“. Mäurer erneuerte seine Abrisspläne: „Der Sichtschutz muss weg.“ Ein Besuch in der Innenstadtwache habe ihn in diesem Vorhaben bestärkt. „Die Beamten haben mir erzählt, dass sie täglich den Tätern hinterherlaufen, die diese Barriere ausnutzen. Die Polizisten haben mir nahegelegt, diese Verhältnisse zu ändern.“ Das gelte auch für die Mauer ein paar Meter vor dem Sichtschutz. Deren Rückseite wird momentan als Mülldeponie und Toilette missbraucht. „Die Verhältnisse sind erbärmlich“, sagte der Innensenator. „Ein Schandfleck für diese Stadt.“
Horst Wesemann von der Linken warnte davor, die Lage rund um die Helenenstraße überzubewerten: „Ich wohne seit 40 Jahren im Viertel. Probleme wie diese gibt es da seit Menschengedenken.“ Die höhere Polizeipräsenz werde von den Anwohnern begrüßt und zeige bereits Wirkung. „Ich denke, darüber hinaus braucht es keine weitgehenderen Maßnahmen“, so Wesemann.
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