Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Kameraaufzeichnung Ein Wolf ist auf Bremer Gebiet unterwegs

Eine Kameraaufzeichnung dokumentiert: Auf Bremer Gebiet ist ein Wolf unterwegs, der auf einer Kuhweide Angst und Schrecken verbreitet.
09.12.2022, 19:57 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Ein Wolf ist auf Bremer Gebiet unterwegs
Von Justus Randt

Brüllend und offensichtlich verängstigt stürmen Rinder über ihre Weide. Das vor dem Morgengrauen aufgenommene Video einer Wildtierkamera zeigt nicht nur die verschreckten Kühe, es lässt auch die Ursache des Aufruhrs erkennen: ein Tier, das laut Experten "wahrscheinlich" ein Wolf war. "So etwas hat es schon gegeben", weiß der niedersächsische Wolfsbeauftragte Raoul Reding. Jetzt gibt es auch in Bremen Indizien dafür, "dass Rinder deutlich öfter, als bekannt ist, vom Wolf angejagt werden", ohne dass er Beute mache. Landwirte fordern eine noch genauere Beobachtung der Wölfe. Jäger verlangen neue Regeln für das Wolfsmanagement von der Politik – letztlich also Abschussgenehmigungen. Das Europaparlament hat das Thema kürzlich aufgegriffen.

Für Jens Rehm, Pächter des Jagdreviers, das von Blumenthal bis kurz vor die Lesum reicht, zeigt das Video "so sicher wie das Amen in der Kirche" einen Wolf. Auch Raoul Reding hält das für wahrscheinlich. Auf der schwarz-weißen Filmaufnahme ist ein Vierbeiner mit buschiger Rute zu sehen. Das Bremer Umweltressort hat nach eigenen Angaben nicht nur niedersächsische Fachleute, sondern auch die Dokumentations- und Beratungsstelle Wolf des Bundes in die Beurteilung einbezogen. Sie seien sich einig, dass es sich um einen Wolf handelt. Gewissheit gebe es indes nicht, weil auf der Momentaufnahme "nicht alle Merkmale sicher zu sehen sind", sagt Behördensprecherin Linda Neddermann. Das Ressort stehe in Kontakt mit dem Tierhalter. "Im nächsten Jahr werden wir gemeinsam über Herdenschutzmaßnahmen beraten."

Halter der Rinder ist Ulli Vey, der nicht nur mit Wolfsschutzvorkehrungen für seine Weiden vertraut ist, sondern auch Erfahrung mit Übergriffen des Räubers hat: Im März habe ein Wolf ein 300 Kilogramm schweres Angus-Rind in Rekum getötet. Am 8. November, einen Tag, bevor das Video im Bereich der Hammersbecker Wiesen entstand, sei nur einen Kilometer entfernt auf niedersächsischem Gebiet ein 230 Kilo schweres Tier, eine Blaue-Belgier-Kreuzung, gerissen worden. Jäger Jens Rehm hat viele Wildkameras installiert. Das Gerät, mit dem das Video entstand, sei das einzige, das keine Aufnahmen sende. Deshalb sei der Film etwa zwei Wochen lang unbemerkt geblieben. Nachdem Vey informiert war, hat er "gleich am nächsten Tag" seine Tiere in den Stall geholt. Ob der Wolfsauftritt wirklich folgenlos blieb, steht für den Biolandwirt noch nicht fest: "Eine Kuh hat vielleicht verkalbt."

Jäger Jens Rehm – "ich bin seit über 40 Jahren Pächter" – hatte in seinem Revier noch keinen Nutztierriss zu verzeichnen. Das Wildtiermanagement, das von der niedersächsischen Jägerschaft im Landesauftrag betrieben wird, zählt für das noch laufende Beobachtungsjahr diverse Fälle in der Nachbarschaft auf: Im Landkreis Cuxhaven gab es bis Ende November 27 Angriffe von Wölfen, dabei wurden 64 Nutztiere getötet. Im Kreis Osterholz starben 34 Tiere bei neun Angriffen. Dort hatte es im gesamten vorherigen Betrachtungsjahr nur sechs Fälle gegeben.

Wolfsrudel sind in Cuxhaven, Schiffdorf, Gnarrenburg und Vollersode nachgewiesen – und in Garlstedt. Zwei der vier Garlstedter Welpen, bestätigen Jäger, seien von Autos überfahren worden, der Rüde des Rudels sei spurlos verschwunden. Die Fähe und die zwei Jungtiere, sollen "immer wieder" auch in Bremen-Nord unterwegs sein. Marcus Henke, Vizepräsident der Landesjägerschaft Bremen, ist sich sogar sicher. "Das Video zeigt erstmals deutlich, was für die Öffentlichkeit sonst nicht sichtbar ist: welche Panik der Wolf bei den Weidetieren auslöst." Generell fordern die Jäger, den Wolf ins Jagdgesetz aufzunehmen, und "bundeseinheitliche Regelungen zum künftigen Umgang" mit ihm.

Lesen Sie auch

Das Truppenübungsgelände Schwanewede sei wegen der Wölfe beinahe wildfrei: "Seit Herbst 2021 sind erst die Frischlinge, dann das Schwarz- und das Rehwild fast weg. Sonst hatten wir dort immer 30 bis 40 Stück Rehwild", sagt Henke. "Damwild gibt es dort gar nicht mehr." Biolandwirt Harje Kaemena erwartet den Wolf früher oder später auch im Blockland, wo Kaemena 140 Rinder hält. "In St. Jürgen ist er schon." Kaemena, der auch Jäger ist, sieht die Wildbestände ebenfalls zurückgehen: "Durch die Lebensweise des Menschen und auch wegen der Wölfe. Mit den Wildtieren werden wir die Wölfe irgendwann nicht mehr satt kriegen."

Kaemena hält nichts von hitzigen Diskussionen. "Aber das ist schon eine Belastung für uns Biolandwirte. Durch den Bio-Status sind wir gesetzlich zur Weidehaltung verpflichtet. Die Frage ist, wie wir eine Koexistenz hinbekommen." An einer Begrenzung der Wolfspopulation, wie es sie beispielsweise in Schweden oder Finnland gebe, komme man wohl kaum vorbei. Er wünscht sich die noch konsequentere Beobachtung der Wölfe, um mehr über sie zu erfahren – und dass sich das Bewusstsein für das Problem in der Öffentlichkeit stärker verbreitet: "Aus dem zweiten Stock eines Mehrparteienhauses in der Stadt lässt sich das alles entspannt verfolgen."

Zur Sache

"Aktionsplan Weidetierhaltung und Wolf"

In einem Pilotverfahren gegen Deutschland habe die Europäische Kommission durchgesetzt, dass transparent über Ausnahmegenehmigungen zum Abschuss von Wölfen informiert werden müsse, teilt das niedersächsische Umweltministerium mit. Künftig sollen artenschutzrechtliche Ausnahmen "zur rechtmäßigen Entnahme von sogenannten Problemwölfen" eine Woche vor ihrem Erlass - ohne personenbezogene Daten - öffentlich gemacht werden. Umweltminister Christian Meyer (Grüne) sieht darin einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion. "Spekulationen, ob und - wenn ja - wie viele Abschussgenehmigungen auf welcher fachlichen Grundlage erteilt werden, wird damit ein Ende gesetzt." Dies sei eine "wichtige Grundlage für einen neuen und vertrauensvollen Dialog zum Wolfsmanagement", so Meyer, um die Bedürfnisse der Weidetierhaltung mit dem Artenschutzinteresse in Einklang zu bringen. Niedersachsen wolle zudem an einem Konzept der Bundesregierung "für ein europarechtskonformes und regional differenziertes Bestandsmanagement intensiv mitarbeiten". Ein "Aktionsplan Weidetierhaltung und Wolf" solle entstehen. Der sogenannte Erhaltungszustand des Wolfes, also die Stabilität des Bestandes, wird laut Ministerium, "von der Bundesregierung und der EU-Kommission weiterhin als ungünstig eingestuft" - und damit als weiterhin gefährdet.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)