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Kameraüberwachung im Hauptbahnhof Gestochen scharfe Bilder von Dieben

90 Kameras liefern der Bundespolizei gestochen scharfe Bilder vom Geschehen im Hauptbahnhof. Doch moderne Technik ist nicht alles im Arbeitsalltag der Beamten, wie der Fall einer bestohlenen Studentin zeigt.
23.08.2021, 18:00 Uhr
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Gestochen scharfe Bilder von Dieben
Von Ralf Michel

Seit Ende 2016 wird der Bremer Hauptbahnhof mit 90 Kameras überwacht. Sie helfen bei den Ermittlungen in Fällen von Diebstahl, Körperverletzung, sexuellen Belästigungen oder auch bei vergessenen Gepäckstücken. "Vor allem für Opfer von Straftaten sind die Kameras manchmal Gold wert", sagt Holger Jureczko, Pressesprecher der Bundespolizei in Bremen. Und erzählt von einer 20-jährigen Marokkanerin, deren Reisepläne vor Kurzem in Bremen ernsthaft in Gefahr gerieten.

Die junge Frau ist Studentin in Leipzig und wollte in den Semesterferien ihre Familie in Marokko besuchen. Früh morgens meldete sie sich völlig aufgelöst an der Wache der Bundespolizei. Ein Dieb hatte ihr im bereitstehenden Zug nach Osnabrück unbemerkt das Portemonnaie gestohlen. Darin befanden sich nicht nur Bargeld und Kreditkarte, sondern auch ihr Reisepass und ihr Flugticket. Von Düsseldorf sollte es am selben Tag per Flieger nach Marokko weitergehen.

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Den Täter hätte sie nicht gesehen, erzählt Jureczko. "Aber sie konnte natürlich genau sagen, um welchen Zug und welche Uhrzeit es ging. Und sie konnte ihre auffallende blaue Geldbörse beschreiben." Damit sei es nicht schwierig gewesen, dem Dieb auf die Schliche zu kommen, sagt Torsten Fiebelkorn, Gruppenleiter der Bundespolizei, der im Eingangsbereich der Wache vor sechs Monitoren sitzt, auf denen er das Geschehen im Hauptbahnhof und auf den Bahnsteigen verfolgen kann. Da die Aufnahmen der Kameras für einen gewissen Zeitraum gespeichert werden, musste nur kurz zurück gespult werden und schon tauchte auf den Bildern ein junger Mann auf – schwarze Jacke, blau kariertes Hemd, Flipflops –, der den Zug verließ und die Treppe herunterging. Weiter zur nächsten Kamera. Die überwacht die Treppe von unten – und zeigte den Mann dabei, wie er in einem auffallend blauen Portemonnaie kramt.

Doch dann schien sich das Blatt zu wenden. Die nächste Kamera zeigte den Dieb, wie er den Bahnhof in Richtung Innenstadt verließ. Sein Foto wurde zwar sofort den Streifen in der Nähe des Bahnhofs übermittelt, aber der Mann blieb verschwunden.

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Eine Stunde später half dann Kommissar Zufall, berichtet Jureczko. Da entdeckten die Polizisten den Mann beim Bäcker im Bahnhof, in der Hand eine größere Summe Bargeld. "Er wollte nach Hause nach Weyhe und sich noch eben schnell ein Brötchen holen", erzählt Wladimir Schwan. Zunächst habe er alles abgestritten. "Als wir ihm dann aber das Bild von der Überwachungskamera zeigten, ist er ziemlich schnell eingebrochen. Er war eindeutig darauf zu erkennen", sagt der Beamte der Bundespolizei.

Doch außer Bargeld hatte der Dieb nichts mehr von seiner Beute bei sich. Hier griffen nun weitere Komponenten der Arbeit der Bundespolizei im Umgang mit oft nicht eben einfacher Klientel, Jureczko nennt sie "Einfühlungsvermögen" und "Fingerspitzengefühl": Schwan erzählte dem Dieb von der Situation der jungen Frau, die immer noch in Tränen aufgelöst auf der Wache saß. Letztlich redete er dem Täter so erfolgreich ins Gewissen, dass dieser preisgab, wo er die Geldbörse mit Ausweispapieren und Flugticket entsorgt hatte. Der Rest ist Geschichte: Eine Streife fuhr zu dem beschriebenen Mülleimer in der Nähe der Sielwallkreuzung, fand die Papiere und nur wenig später saß eine überglückliche Studentin im Zug nach Düsseldorf. 

Schlechte Zeiten für Übeltäter im Bremer Hauptbahnhof, wenn man so will: Die beiden Männer, die eine Zugbegleiterin niederstießen und schlugen, die Frau, die eine Mutter mit ihrem Kinderwagen vom Fahrstuhl wegdrängte und rassistisch beschimpfte, die drei Männer, die ohne Grund Feueralarm im Bahnhof auslösten, der Dieb, der in der Drogerie gleich sechs Flaschen mit Waschmittel mitgehen ließ – von allen gibt es gestochen scharfe Fotos als Beweismittel.

Die Kameras seien in vielerlei Hinsicht nützlich, betont Jureczko. "Meist gibt es ja keine Augenzeugen oder wir haben widersprüchliche Aussagen." Wenn es zum Beispiel um Körperverletzung gehe. Wer hat die Prügelei angefangen, wer sich vielleicht nur verteidigt? Oder, unlängst, die Auseinandersetzung auf Gleis 1, bei der einer der Kontrahenten im Gleisbett landete und nur um Haaresbreite vor der einfahrenden Nordwestbahn gerettet werden konnte: Für die Frage vor Gericht, ob es dabei um ein versuchtes Tötungsdelikt ging, dürften die Videoaufzeichnungen von Bedeutung sein.

"Wir haben sogar den Eindruck, dass professionelle Diebe den Bremer Hauptbahnhof eher meiden", sagt der Sprecher der Bundespolizei. "Wir sind zwar nicht immer erfolgreich, aber wir haben zumindest Bilder von den Tätern. Und die wissen das." Vielleicht ja auch der junge Mann, der es witzig fand, von einem der Polizeifahrzeuge am Bahnhof das Kfz-Zeichen abzumontieren. Ein Foto zeigt ihn, während er sich das Kfz-Schild unter den Mantel schiebt. Eine entsprechende Polizeimeldung mit Täterbeschreibung zeigte Wirkung: Kurz darauf lag das Schild im Briefkasten der Polizei – zusammen mit einem Entschuldigungsschreiben.

Zur Sache

"Erfolge" der Kameras nicht statistisch erfasst

951 Diebstähle, 160 Körperverletzungsdelikte, 21 Fälle von Widerstand und zwei von Gewalt gegen Polizeibeamte gab es 2019 am Bremer Hauptbahnhof. Die Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor, die Bundespolizei geht jedoch von einem Rückgang um etwa 35 Prozent aus, geschuldet der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Schließung zahlreicher Geschäfte im Bahnhof sowie des Rückgangs des Reiseverkehrs.

Die Zahl der Ermittlungserfolge mithilfe der Videokameras erfasst die Bundespolizei nicht. "Das würde das Bild verfälschen, weil 'Erfolge' nicht statistisch definiert werden können", sagt Holger Jureczko, Pressesprecher der Bundespolizei. Aus polizeilicher Sicht sei bereits die Zuordnung eines vergessenen Koffers ein besonderer Erfolg, weil dadurch eine Bahnhofssperrung verhindert und Ärger für Tausende von Fahrgästen abgewendet werden könnten, ohne dass so ein Fall anschließend in die polizeilichen Eingangsstatistik fallen würde. "In anderen Fällen wurden Beschuldigte ohne Kameras ermittelt, aber Notwehrlagen von Geschädigten erst mit Kameras gerichtsfest dokumentiert – auch hier wäre die statistische Zuordnung nicht möglich."

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