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Krankenhaus-Vergleich der Bundesländer Kampf gegen Keime läuft in Bremen vorbildlich

Strengere Gesetze sollen die Zahl der Krankenhaus-Infektionen senken: So sollen die Kliniken zu mehr Hygiene verpflichtet werden. Der Kampf gilt vor allem sogenannten mehrfachresistenten Keimen. Bremen spielt hierbei eine Vorreiterrolle.
16.02.2011, 05:00 Uhr
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Kampf gegen Keime läuft in Bremen vorbildlich
Von Sabine Doll

Strengere Gesetze sollen die Zahl der Krankenhaus-Infektionen senken: So sollen die Kliniken zu mehr Hygiene verpflichtet werden. Der Kampf gilt vor allem sogenannten mehrfachresistenten Keimen. Bremen spielt hierbei eine Vorreiterrolle.

"Wer sich die Hände regelmäßig wäscht und desinfiziert, erhält einen Jahresbonus von 3000 Euro" - so oder ähnlich muss der Aufruf an Ärzte, Schwestern und Pfleger formuliert gewesen sein. Allerdings auf italienisch. Ein Mailänder Krankenhaus hat eine Geldprämie ausgeschrieben, um das medizinische Personal auf der Frühchen-Station zur Einhaltung der Hygiene-Vorschriften zu bringen.

Mit Erfolg: Die Zahl der erst in der Klinik übertragenen Infektionen ist seit der Einführung des Hygiene-Bonus' um 30 Prozent gesunken, bestätigte Fabio Mosca, Chef der Neonatologie an der Mailänder Mangiagalli-Klinik. Damit auch alles mit rechten Dingen zugeht, wird das Klinikpersonal zur Kontrolle mit Kameras überwacht und nach dem Händewaschen das Bakterienvorkommen auf den Händen gemessen; erst danach dürfen die Frühgeborenen berührt werden.

Hygiene im Krankenhaus ist zurzeit ein gefragtes Thema. Eines, das allerdings vor allem negative Schlagzeilen macht. Und das nicht nur in Italien. Auslöser der öffentlichen Diskussionen hierzulande war der Tod von drei Säuglingen an der Universitätsklinik Mainz im vergangenen Sommer. Die Kinder starben an einer Infektionslösung, die allerdings bereits vor dem Eintreffen in dem Krankenhaus beschädigt und mit Keimen verunreinigt worden war, wie sich später herausstellte. Den nächsten Hygiene-Skandal meldete Mitte Januar das Klinikum Fulda: Wegen massiver Verunreinigungen am OP-Besteck musste die Zentralsterilisation stillgelegt werden; mehr als 400 Operationen wurden bis heute abgesagt oder an andere Kliniken abgegeben.

Kaum zwei Wochen später, Anfang Februar, meldete schließlich auch das Klinikum Kassel Probleme mit der Sterilisation von Skalpell und anderen Operationsinstrumenten. Die Gefahr: Hat sich Rost gebildet oder werden Blutreste nicht richtig entfernt, können Infektionen an die Patienten übertragen werden.

Haben deutsche Krankenhäuser ein Hygieneproblem? Eines, das die Patienten krank machen und im schlimmsten Fall sogar Leben kosten kann? Fakt ist: Jedes Jahr infizieren sich nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums 400.000 bis 600.000 Menschen mit sogenannten Krankenhauskeimen, 7500 bis 15.000 von ihnen sterben an den Folgen. Das Hauptproblem sind sogenannte multiresistente Bakterien (MRSA), die nicht mehr auf gängige Antibiotika ansprechen und sich besonders leicht auf Oberflächen wie Türklinken, Handtüchern und Nachttischen verbreiten.

Vermeidbare Infektionen

Gesunden Menschen bereitet der Erreger normalerweise keine Probleme. Ein großer Teil der Bevölkerung trägt ihn sogar in sich, ohne etwas davon zu bemerken. Vor allem im Rachen und in der Nasenhöhle siedelt sich MRSA an. Doch für frischoperierte und immungeschwächte Patienten kann er zur Gefahr werden. Lungenentzündungen, schlecht heilende Wunden, Harnwegsinfektionen, Hautgeschwüre, Furunkel und Blutvergiftungen sind typische Folgen einer MRSA-Infektion.

Wichtigstes Mittel, um Vermehrung und Verbreitung der Keime zu verhindern, ist Hygiene. Doch genau daran hapert es offenbar in so manchem Medizinbetrieb, wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft beklagt. Jede dritte Infektion könnte verhindert werden. Ein Problem: Nur wenige der insgesamt 2100 Krankenhäuser im Land haben einen Hygieniker, der dem medizinischen Personal etwa den richtigen Umgang mit der Desinfektion der Hände beibringt. Personal- und Zeitmangel, gepaart mit wirtschaftlichem Druck sieht die Deutsche Krankenhausgesellschaft als wichtigste Ursache dafür. Weniger seien es mangelnde Vorschriften. Das sieht auch Christian Brandt, Leiter der Abteilung Krankenhaushygiene am Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Frankfurter Goethe-Universität so: "Wir haben eher ein Umsetzungsproblem als zu wenige Vorschriften." Verfahren und Prozesse seien genau vorgeschrieben, "aber das Personal muss sich auch an diese Vorschriften halten, 24 Stunden am Tag", fordert der Hygiene-Fachmann.

Gesetz für mehr Hygiene

Die Ursachen für Fehler bei der Sterilisation könnten technischer und menschlicher Natur sein. Zum Beispiel könnten Temperatur oder Wasserdruck falsch sein oder die Maschine könnte falsch beladen worden sein. Das Personal müsse in diesem Prozess mehrmals "jedes einzelne Instrument in die Hand nehmen und prüfen: Ist das wirklich sauber?". Wer dabei zu genau vorgehe, mache sich jedoch im Haus nicht unbedingt beliebt und müsse sich vielleicht sogar den Vorwurf anhören, den Betrieb aufzuhalten. Wegen des Kostendrucks an den Kliniken gebe es nur wenig Ersatzinstrumente, so Brandt.

Nach den Vorfällen in Fulda und Kassel hat die Politik die Brisanz des Themas entdeckt und den Klinikkeimen den Kampf angesagt. Der Bund will die Länder, in deren Zuständigkeit die Krankenhäuser fallen, stärker als bisher in die Pflicht nehmen: Sie sollen Verordnungen für mehr Sauberkeit in den Kliniken erlassen, in denen das regelmäßige Waschen und Desinfizieren der Hände, aber auch von Türklinken, Nachttischen und anderen Oberflächen geregelt ist. "Im Infektionsschutzgesetz (IfSG) werden die Länder zum Erlass der erforderlichen Landesverordnungen verpflichtet", heißt es dazu in dem Entwurf aus dem Gesundheitsministerium.

Bremen gilt als Vorreiter in Sachen Klinikhygiene, seit 1990 hat das Land bereits eine Krankenhaus-Hygieneverordnung. "Was zurzeit auf der Bundesebene gefordert wird, haben wir schon seit Langem mit Leben gefüllt", betont Staatsrat Dr. Hermann Schulte-Sasse auf der Internetseite der Gesundheitsbehörde.

Dazu gehört, dass die Häuser spezielle Hygiene-Fachkräfte beschäftigen, die das medizinische Personal im Umgang mit Hygiene-Vorschriften und gefährlichen Klinik-Keimen anleiten. Ebenfalls als eines der ersten Bundesländer hat Bremen vor drei Jahren zunächst einen runden Tisch und Ende 2010 ein Netzwerk zum Thema MRSA eingerichtet.

Tests auf resistente Erreger

Ein erstes Ergebnis gibt es bereits: "Die Kliniken verpflichten sich dazu, einen vereinbarten Standard beim MRSA-Screening einzuhalten", sagt Matthias Christelsohn, Koordinator des Bremer Netzwerks. Screening bedeutet: Patienten mit MRSA werden identifiziert und behandelt. Dies geschieht in einem Einzelzimmer, das vom Personal nur in entsprechender Schutzkleidung betreten wird und dauert mehrere Tage. Es soll verhindern, dass sich die Keime weiter ausbreiten und andere Patienten gefährden.

Erst wenn diese sogenannte Sanierung abgeschlossen ist, kann die eigentliche Behandlung beginnen. Zur Zielgruppe beim Screening gehören Patienten, die schon einmal positiv auf MRSA getestet wurden, Menschen aus Senioren- , Reha- und Pflegeeinrichtungen, Patienten mit chronischen offenen Wunden und Patienten aus dem Ausland, speziell aus Ländern mit hohem MRSA-Anteil. Auf speziellen Stationen wie der Intensivabteilung wird jeder Neuzugang gescreent.

Elf Kriterien umfasst der Bremer Katalog zum MRSA-Screening und geht damit über den vom Robert-Koch-Institut in Berlin formulierten Mindeststandard hinaus. "Damit sind wir deutlich weiter als andere Bundesländer", betont Christelsohn. Die nächste "Baustelle" des Netzwerks ist die sektorenübergreifende Ausweitung. Gemeint ist: Alten- und Pflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste und niedergelassene Arztpraxen sollen in das Screening-Programm einbezogen werden.

"Die Schnittstelle 'stationär - ambulant' ist besonders heikel. Wenn man die MRSA-Rate insgesamt senken will, darf man das nicht auf die Krankenhäuser reduzieren", fordert der Bremer Netzwerk-Koordinator. "Da wird ein Patient in der Klinik saniert, und sobald er beispielsweise in seine Pflegeeinrichtung zurückkehrt, kommt er mit anderen MRSA-Trägern in Kontakt. Die Behandlung muss ambulant weitergehen." Einen speziellen Übergabebogen für den Hausarzt soll es hierfür geben.

Weiteres Ziel ist es, Mitarbeiter in Heimen, ambulanten Diensten und anderen Einrichtungen regelmäßig zu schulen. Christelsohn: "Es geht darum, dass die Heime zum Beispiel einen einheitlichen Hygieneplan haben. Und dann muss natürlich idealerweise noch das niedersächsische Umland einbezogen werden; zumindest sollten die Standards angeglichen werden. Viele Patienten in Bremer Krankenhäusern kommen von dort."

Wie viel solche Netzwerke erreichen können, zeigt das Modellprojekt Euregio-Net im deutsch-niederländischen Grenzgebiet Münsterland/Twente. Die Suche nach und die Sanierung von mit MRSA besiedelten Patienten und die enge Vernetzung ambulanter und stationärer Versorgungseinrichtungen haben dazu geführt, dass die Rate der schweren MRSA-Infektionen nicht mehr steigt. Die in das Netzwerk eingebundenen Kliniken haben sich inzwischen zu einem Qualitätsverbund zusammengeschlossen; dies bedeutet, dass sie bei Erreichen gemeinsam formulierter Ziele ein Qualitätssiegel bekommen können.

Vorbild: Niederlande

Das Konzept, nach dem Euregio-Net arbeitet, stammt aus den Niederlanden: Dort hat man schon vor vielen Jahren das Problem MRSA erkannt und einen Schlachtplan entworfen. Neben strengen Hygiene-Vorschriften, vor allem deren Einhalten, und einem konsequenten MRSA-Screening verfügt jedes Krankenhaus über einen hauptamtlichen Arzt für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene. Dieser nimmt täglich Visiten vor und entscheidet über die Verordnung von Antibiotika. Dem inflationären Einsatz der sogenannten Superwaffe ist es nämlich zu verdanken, dass immer mehr Bakterien resistent geworden sind - und zwar gegen gleich mehrere Wirkstoffe.

Der Erfolg ist messbar: Liegt die Quote der multiresistenten Erreger in deutschen Kliniken bei durchschnittlich rund 20 Prozent und teilweise sogar darüber, hält sich der Anteil in den Niederlanden seit mehreren Jahren stabil unter drei Prozent.

Informationen über das MRSA-Netzwerk Bremen gibt es im Internet unter der Adresse: www.mrsa-netzwerk.bremen.de

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