Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Neue Herausforderungen durch Erdbeben "Ketaaketi": Hilfe für Nepal

Seit 2006 engagiert sich Anneli-Sofia Räcker in Nepal. Ihr Verein "Ketaaketi" hilft Kindern und Jugendlichen. Das Erdbeben im April 2015 hat viel verändert. Statt Bildung steht Nothilfe im Vordergrund.
03.01.2016, 00:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Carolin Henkenberens

Seit 2006 engagiert sich Anneli-Sofia Räcker in Nepal. Ihr Verein "Ketaaketi" hilft Kindern und Jugendlichen. Das Erdbeben im April 2015 hat viel verändert. Statt Bildung steht Nothilfe im Vordergrund.

Das Erdbeben im April in Nepal war auch ein Erdbeben für den Verein „Ketaaketi“. „Die Katastrophe hat so vieles verändert“, sagt die Gründerin und Vorsitzende, Anneli-Sofia Räcker. Mit einer Wucht von 7,8 auf der Richterskala zitterte die Erde in dem Gebirgsland zwischen Indien und China.

Hunderttausende Wohnhäuser und Schulen sind zerstört, rund 9000 Menschen getötet und 22000 weitere verletzt worden. Das Beben hat auch für den Bremer Verein, der sich für die Bildung benachteiligter Kinder einsetzt, viel verändert.

„Plötzlich ist unser komplettes Konzept anders“, sagt Räcker. „Wir sind von nachhaltiger Arbeit zur Nothilfe gekommen.“ Der von ihr gegründete Verein unterstützt nepalesische Schulen, damit Kinder aus der untersten sozialen Gruppe kostenlos unterrichtet werden. Vor allem Mädchen würden schon mit elf, zwölf Jahren verheiratet und hätten somit kaum Zugang zu Bildung.

Mütter erhalten Mikro-Kredite

Ketaaketi hilft auch den Müttern der Kinder mit Mikro-Krediten in Höhe von 100 Euro, mit dem sie ein Geschäft oder eine Landwirtschaft aufbauen können. Erst im Januar war Räcker nach Nepal gereist. Im Gepäck hatte sie viele neue Ideen für Projekte, die Gesundheitsversorgung in den Bergregionen zu verbessern. Ihre Visionen waren groß.

Doch dann kam das Beben, 50 Kinder aus den 18 von Ketaaketi betreuten Schulen kamen ums Leben. An Unterricht ist seither an vielen Orten nicht mehr zu denken. An die geplante Gesundheitsversorgung ebenfalls nicht. „Die Familien haben kein Dach über dem Kopf, erfrieren fast in der Kälte und haben nichts zu essen“, berichtet Räcker, die täglich mit einem Mitarbeiter aus Nepal telefoniert. Der tauscht sich mit ihr über die Situation aus.

Die ist desolat: Der Wiederaufbau geht kaum voran, weil die Regierung zerstritten ist. Die Millionen an Hilfsgeldern der internationalen Gemeinschaft können seit Monaten nicht verteilt werden. Noch dazu verschlechtert die seit drei Monaten anhaltende Blockade Indiens die Lage. Wegen Streitigkeiten um die neue nepalesische Verfassung verbietet Indien Ein- und Ausfuhren von und nach Nepal. Mit verheerenden Folgen. „Es gibt kein Kochgas, kaum Benzin, vielerorts nicht einmal mehr Schmerzmittel und so gut wie keine Baumaterialien“, schildert Räcker die Notsituation in dem 26-Millionen-Einwohner-Land.

Für die 63-jährige Bremerin aus Huchting bedeutet das: Statt zusätzlicher Lehrer oder Unterricht organisiert sie Jacken, Decken und Schuhe. Das ist wegen der Blockade nicht einfach. Die meisten Hilfsgüter werden aus China eingekauft. Mit einfachen Bussen oder Mopeds würden sie von Einheimischen in die Bergregionen gebracht.

Nach dem Erdbeben: 150000 Euro gesammelt

Doch es gab auch positive Effekte. Das Spendenaufkommen hat sich vervielfacht, 150000 Euro seien nach dem Beben eingegangen. Erst kürzlich spendeten der Rotary Club und der Lions Club wieder große Summen. Und: Weitere Menschen hätten sich gemeldet, die im Verein mitarbeiten möchten. In der Bremer Regionalgruppe engagieren sich mittlerweile zehn Personen, dazu gibt es Ortsgruppen in Varel und Oldenburg. Alles in allem ergebe das 25 Aktive. Eingetragen als Vereinsmitglieder sind mittlerweile 180 Personen.

Die Arbeit ist für Räcker deshalb nicht weniger geworden – im Gegenteil. Neben ihrem Beruf als Psychotherapeutin und Coach arbeite sie rund 40 Stunden in der Woche für den Verein, sagt Räcker. Manchmal sitzt sie bis in die Nacht am Schreibtisch. Mit einer Tafel an der Bürowand erinnert sie sich an Dinge, die sie nicht vergessen will.

„Garten“, „Sport“ und „Freunde“ steht da mit einem Edding geschrieben, und dann hört die Liste unter der Überschrift „Privat“ schon auf. Unter „Ketaaketi“ finden sich drei Mal so viele Notizen. Vorträge halten, Pressemitteilungen schreiben, Spenden und Mitglieder akquirieren: Für die lebhafte Frau, die beim Erzählen leidenschaftlich gestikuliert, ist ihr Engagement zum Vollzeitjob geworden.

Es sei eine unentgeltliche Arbeit und kein Ehrenamt, betont Räcker. „Mit diesem ganzen Charity-Mist wollen wir nichts zu tun haben“, sagt sie. Die Mitglieder von Ketaaketi wollten nicht als westliche Geber auftreten, die den Empfängern der Spenden vorschreiben, was richtig und falsch ist. „Alle Entscheidungen werden in Nepal getroffen, wir sorgen nur dafür, dass sie umgesetzt werden können.“

Räcker hat den antikolonialen Geist von ihrem Vater, sagt sie. Der wuchs in Kolumbien mit Indios auf, las Schriften des Friedensrevolutionärs Mahatma Gandhi. „Wir sind nur zufällig im Norden dieser Welt geboren und zufällig reich. Anderen, die dieses Glück nicht hatten, sollten wir deshalb etwas abgeben“, erklärt Räcker ihre Philosophie. Deshalb sei ihr Motto „Sharity“, es geht ihr also ums Teilen. Für das Konzept der Hilfe auf Augenhöhe ist der Verein von der Unesco ausgezeichnet worden.

Räcker möchte in Zukunft noch einiges auf die Beine stellen: Möglichst viele Menschen in Bremen und Niedersachsen auf die Situation der Ärmsten aufmerksam machen und weitere Mitstreiter finden. Vor allem Schulen könnten sich bei ihr melden, um eine Partnerschaft einzugehen mit einer nepalesischen Schule. Eine Rückkehr zum Alltag ist in Nepal, aber auch für die Hilfsorganisation noch weit entfernt. „Aber wir machen weiter und bleiben unserer Idee der Schulbildung für alle Kinder verbunden“, versichert Räcker.

Wer den Verein kennenlernen möchte: Ketaaketi ist am Sonntag, 17. Januar, mit einem Stand beim Piccolino-Kinderflohmarkt in der Messehalle 5 in Bremen vertreten.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)