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Interview mit Martin Michalik „Der Senat muss viel schneller werden“

Bis Jahresende soll eine Kommission aus Politikern und Experten dem Senat Vorschläge machen, wie Bremen 2030 die Klimaziele des Pariser Abkommens erreicht. Der Vorsitzende sagt, was schon heute möglich ist.
31.01.2021, 05:00 Uhr
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„Der Senat muss viel schneller werden“
Von Joerg Helge Wagner

Ein Bündnis von 30 Öko-Gruppen und Verbänden kritisiert, dass die Enquetekommission von Senat und Bürgerschaft dazu missbraucht werde, beim Klimaschutz auf Zeit zu spielen. In einem Tweet empfinden Sie das aber als Unterstützung. Weshalb?

Martin Michalik: Die Enquete arbeitet entlang des Einsetzungsbeschlusses. Der sagt, dass sie innerhalb von 18 Monaten einen Abschlussbericht mit Klimazielen und -maßnahmen erarbeiten soll. Umsetzen kann sie es natürlich nicht, das muss der Senat – und dafür ist der Druck von Umweltverbänden richtig und hilfreich.

Einige Vorschläge des Öko-Bündnisses sind recht radikal: die im Bau befindlichen Erdgas-Kraftwerke etwa sollen gar nicht erst in Betrieb genommen werden. Macht sich die Enquete dies zu eigen?

Wir nehmen diese Vorschläge ernst, sie enthalten wichtige Impulse für uns. Wir sind aber noch im Erarbeitungsprozess, was die konkreten Maßnahmen angeht. Unsere Fragen lauten: Was ist notwendig für die Erreichung der Pariser Klimaschutzziele? Was ist machbar? Wir diskutieren in sechs Arbeitsgruppen mit externen Beratern, um am Ende pro Sektor zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.

Auf der letzten Sitzung 2020 ging es um die Vermittlung von Klima-Wissen und -bewusstsein. Wo verläuft für Sie die Linie zwischen Aufklärung und Bevormundung?

Aufklärung ist für mich, wenn man Kindern, aber auch Erwachsenen das nötige Handwerkszeug mitgibt, um freie und gleichzeitig verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. Wir möchten damit so früh wie möglich ansetzen, am liebsten schon im Kindergarten.

Was heißt das konkret?

Dass es anständig ist, den Müll zu trennen, Essen nicht wegzuwerfen, Strom zu sparen. Wenn wir diese Grundkompetenzen vermitteln, ist viel gewonnen, dann ist das 10, 20 Jahre später ein Selbstläufer. Wir brauchen aber auch Strukturen, die dieses Umweltbewusstsein unterstützen.

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Nehmen wir den Fleischkonsum pro Woche: Ist das noch Privatsache oder mittlerweile staatsbürgerliche Verantwortung?

Das ist Privatsache – auch wenn es einen Konsens in der Enquete gibt, dass wir unseren Fleischkonsum reduzieren sollten. Es geht dabei ja auch nicht nur um Klima- und Tierschutz, sondern auch um die Menschen, die in der Fleischindustrie zum Teil unter unwürdigen Bedingungen arbeiten. Das sind die Folgen, wenn man Hackfleisch für 3,50 Euro das Kilo verkauft.

Auf die Preispolitik der großen Discounter hat der Senat allerdings keinen Einfluss.

Sicher, aber es gibt ja auch öffentliche Kantinen und Mensen. Da kann man schon seiner Verantwortung gerecht werden, indem man darauf achtet, wo man einkauft. Trotzdem sollte jeder, der Fleisch essen möchte, auch die Möglichkeit dazu haben.

„Je höher der Bildungsstand, umso größer der Fußabdruck“, befand ein geladener Experte. Verhalten sich viele Bildungs- und Wohlstandsbürger scheinheilig, sobald Klimaschutz Verzicht erfordert?

Menschen mit geringerem Budget leisten sich automatisch weniger, aber deshalb würde ich nicht von scheinheilig sprechen. Viele Bildungs- und Wohlstandsbürger konsumieren anders – sie kaufen Elektroautos und teure vegane Produkte. Aber es gibt natürlich auch die, die mit einem großen SUV durch die Gegend fahren und dann die Grünen wählen, um ihr Gewissen zu beruhigen.

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Mal ganz konkret: Wie verkaufen Sie dem Wirtschaftsflügel Ihrer Partei Forderungen nach einer auto-armen Innenstadt, verteuerten und reduzierten Parkplätzen?

Weniger Autoverkehr trägt dazu bei, die Aufenthaltsqualität der Innenstadt zu steigern. Bei unseren Plänen bleiben reichlich Parkplätze in und um die Innenstadt erhalten, das ist ein herbeigeredeter Konflikt. Wir brauchen in der Innenstadt mehr Wohnraum und mehr Grünflächen – darüber sind sich inzwischen alle einig.

Flugverkehr ist klimaschädlich, Bremens Flughafen ist zudem hoch belastend für den Landeshaushalt. Ihn zu schließen würde gleich zwei Zielen dienen, oder?

Nein. Bremen ist als wirtschaftlich starker Standort darauf angewiesen, dass es einen Flughafen gibt. Luftfahrtindustrie ohne Flughafen, das funktioniert nicht. Aber das schließt ja nicht aus, über alternative Kraftstoffe für Flugzeuge zu diskutieren. In der Enquete sprechen wir über Grünen Wasserstoff und seine Folgeprodukte: Wie sind sie einsetzbar?

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Das ist aber noch Zukunftsmusik.

Wir streben doch schon an, Bremen und Bremerhaven zu einem Wasserstoff-Standort zu machen und Anwendungsfelder zu entwickeln. Wenn das massentauglich wird, ist es eine Riesenchance für das Land Bremen, auch wirtschaftlich.

Mehr bezahlbarer Wohnraum, aber möglichst Passivhausstandards bei Neubauten – wie löst man solche Zielkonflikte?

Durchs Fördern und Fordern. Ein Ansatz ist die Sanierung bestehender Gebäude. Da ist viel zu holen, mit einem verhältnismäßig geringeren Aufwand als bei Neubauten. Da muss der Senat seiner Vorbildfunktion nachkommen, zumal uns Rot-Grün-Rot ja immer vorrechnet, wie wirtschaftlich das sei. Dann kann man auch private Eigentümer überzeugen, entsprechend zu investieren.

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Bei den Solar-Paneelen auf öffentlichen Dächern ist das aber ein sehr gemächlicher Prozess.

Nach jüngsten Zahlen gibt es etwa 2000 öffentliche Dächer, von denen gerade 47 mit Photovoltaik-Anlagen (PV) ausgestattet sind. Vor gut einem Jahr habe ich in der Bürgerschaft einen Antrag gestellt, das auszuweiten – und überall dort, wo es wegen der Statik nicht möglich ist, über Dachbegrünung nachzudenken. Der Senat muss und könnte hier viel schneller werden.

In einem Interview kritisierten Sie vor kurzem den schleppenden Ausbau des ÖPNV in Bremen – manchmal bremsen aber auch Bürgerproteste den Ausbau, wie in Huchting. Einfach mal Fakten schaffen statt Runder Tische?

Nein. Wir leben in einer Demokratie und Protest gehört zum demokratischen Prozess. Das ist ja auch bei Windkraftanlagen so. Und wenn der Widerspruch Substanz hat, muss er auch Gehör finden. Aber es gibt ja auch Maßnahmen, die man intern, ohne Bürgerbeteiligung ergreifen kann: andere Taktung, andere Verläufe von Bus- und Bahnlinien, durchgängig WLAN. Neue Straßenbahnen, die aber im gleichen Takt fahren, machen die Qualität des ÖPNV eben nicht viel besser.

Ende des Jahres will die Enquetekommission ihren Abschlussbericht veröffentlichen, im März gibt es einen Zwischenbericht. Was steht drin?

Wir werden ein sehr breites Spektrum präsentieren. Die Menschen werden sehen, welche Potenziale Bremen und Bremerhaven haben. Etwa, wie viele Emissionen das verarbeitende Gewerbe verbraucht – aber auch, welche Dekarbonisierungsmöglichkeiten es für diesen Bereich gibt. Wir haben bereits viele Akteure zusammengebracht und mit ihnen gesprochen. Die Enquete wirkt also schon, auch nach außen.

Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner.

Zur Person

Zur Person

Martin Michalik (37) ist Mitglied der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft und Vorsitzender der Enquete-Kommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“. Der gelernte Lokführer arbeitet als Online-Marketing-Manager und wohnt mit Ehefrau und zwei Kindern in der Vahr.

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