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Ohne Gas und Öl Klimaneutrales Heizen: So soll Bremen den Wandel bis 2040 schaffen

Der Kurs ist vorgegeben: Bremen muss seine Klimabilanz in den kommenden Jahren deutlich verbessern. Ein wichtiges Feld ist dabei die Wärmeversorgung. Pläne für Klimaneutralität bis 2040 liegen auf dem Tisch.
08.11.2021, 10:12 Uhr
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Klimaneutrales Heizen: So soll Bremen den Wandel bis 2040 schaffen
Von Jürgen Theiner

Heizen mit Erdgas ist ein Auslaufmodell, fürs Öl gilt das ohnehin – der Kampf gegen den Klimawandel verlangt es. Aber wie kommt dann künftig Wärme in die Bremer Wohnungen? Die Klima-Enquetekommission der Bürgerschaft hat dazu klare Vorstellungen, die im Dezember vorgestellt werden. Grundlage ist ein Gutachten, das bei der Beratungsgesellschaft HIC Hamburg Institut und dem Hamburger Ingenieurbüro Averdung eingeholt wurde. Die Fachleute kommen zu dem Schluss: Die Heizenergieversorgung der Stadtgemeinde lässt sich bis 2040 klimaneutral umsteuern, mit einer Mixtur aus Fern- und Nahwärmenetzen, Wärmepumpen und der Nutzung von Abwärme aus Industrie und Gewerbe.

In ihrer gut 200 Seiten starken Expertise bescheinigen die Autoren Bremen vor allem beim Ausbau der vorhandenen Wärmenetze großes Potenzial. Gegenwärtig werden im kleinsten Bundesland 43 solcher Netze betrieben, die gesamte Trassenlänge beträgt rund 470 Kilometer. Ein Ausbau bietet sich aus Sicht von HIC/Averdung insbesondere im dicht bebauten innerstädtischen Bereich und der Neustadt an. Mit dem Anschluss zusätzlicher Haushalte ans Netz allein wäre allerdings noch nicht viel gewonnen, die Heizenergie müsste auch umweltfreundlich erzeugt werden. Gegenwärtig ist noch das Steinkohlekraftwerk Hastedt wichtigster Faktor im System.

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Das Gutachten besagt: Ein wesentlicher Teil der für die Bremer Haushalte benötigten Energie ließe sich durch Nutzung bisher verschwendeter Ressourcen gewinnen, vor allem bei der Abwärme großer Industrieanlagen und Rechenzentren, die zurzeit noch aufwendig gekühlt werden müssen. Weitere Möglichkeiten, an Heizenergie für Fernwärmenetze zu kommen, wären große Solarthermieanlagen auf ungenutzten Flächen, Geothermie (Erdwärme) sowie Flusswasser-Wärmepumpen, die der ohnehin zu warmen Weser Wärme entziehen. Spitzenlasten könnten nach Ansicht der Gutachter durch die Verbrennung von Biomasse abgedeckt werden.

"Es gibt natürlich Gebiete in Bremen, die nie ein Wärmenetz sehen werden", sagt Enquete-Mitglied Philipp Bruck (Grüne). Gemeint sind zentrumsferne, dünner besiedelte Wohngebiete, in denen ein Netzausbau deutlich unwirtschaftlich wäre. Für solche Bereiche sind laut Gutachten jedoch dezentrale Lösungen verfügbar, wie etwa Solaranlagen, Wärmepumpen und Holzhackschnitzel-Heizungen.

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Ist das alles tatsächlich bis 2040 machbar? Und was kostet dieser gigantische Transformationsprozess? Nicht zuletzt: Wer bezahlt ihn? HIC/Averdung beziffern allein den finanziellen Aufwand für den Ausbau der innerstädtischen Wärmenetze auf rund 730 Millionen Euro. Auf diejenigen Haushalte, die sich dezentrale Lösungen überlegen müssen, kommen mittelfristig größere private Investitionen zu. Doch das, argumentiert Philipp Bruck, wäre über kurz oder lang sowieso der Fall. "Wer sich jetzt noch eine neue Erdgasheizung kauft, wird sie höchstens zehn bis fünfzehn Jahre betreiben können", ist sich der Grünen-Politiker sicher, "denn zum einen wird der Bestandsschutz irgendwann auslaufen, und zum anderen dürfte eine solche Heizung mit den Jahren unwirtschaftlich werden, weil die CO2-Abgabe immer höher wird."

Die Frage der Kosten – sowohl für die öffentliche Hand als auch für die Privathaushalte – beschäftigt die Enquetekommission in einem eigenen Finanz-Arbeitskreis. Die Berechnungen, die dort angestellt werden, enthalten allerdings mehrere Unbekannte. "Wir wissen gegenwärtig nicht, welche Fördertöpfe in Zukunft zur Verfügung stehen werden", sagt Enquete-Vorsitzender Martin Michalik (CDU).

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Doch auch wenn manche Rahmenbedingungen des Umsteuerungsprozesses noch unklar sind: Im Grundsatz gibt es einen politischen Konsens, dass das Mammutprojekt in Angriff genommen werden muss. "Die Stadt wird umgebaut", bringt es Philipp Bruck auf den Punkt. Brüchig wird der Konsens allerdings bei der Frage, wer bei diesem Umbau den Hut auf hat. Soll Bremen nach Hamburger Vorbild eine "Wärmegesellschaft" gründen, die den Ausbau der Netze in kommunaler Regie vorantreibt? Oder soll sich die Stadt privatwirtschaftlicher Akteure wie des Energieversorgers SWB bedienen, die bereits über einschlägige Erfahrungen verfügen? Philipp Bruck hofft, dass solche ordnungspolitischen Konflikte das Gesamtprojekt nicht bremsen, denn auf dem Weg zur Klimaneutralität gebe es keine Zeit zu verlieren. Das kleinste Bundesland könne dabei einiges von Dänemark lernen. Der Nachbarstaat im Norden habe in den zurückliegenden 15 Jahren den Umfang seiner Wärmenetze verdoppelt.

Jüngste Erfahrungen in Bremen stimmen allerdings nicht sehr optimistisch. Seit etwa vier Jahren plant die SWB an einem Vorhaben, das im Vergleich zu den bevorstehenden Aufgaben winzig wirkt: dem Bau einer Heißwasser-Pipeline zwischen dem Müllheizkraftwerk in Findorff und dem bestehenden Fernwärmenetz im Bereich Hastedt/Vahr. Ursprünglich sollte mit dem Bau 2020 begonnen werden, die Fertigstellung war für 2022 angepeilt. Bisher ist kein Meter Leitung verlegt.

Zur Sache

Klima-Enquetekommission

Die Bremische Bürgerschaft hat im Januar 2020 als erstes deutsches Landesparlament eine Enquetekommission eingesetzt, die eine Klimaschutzstrategie entwickeln soll. Alle Parlamentsfraktionen sind in dem Gremium vertreten. Ihm gehört außerdem eine gleich hohe Zahl wissenschaftlicher Experten aus dem Bereich des Klimaschutzes an. Teilnahme- und Rederecht haben darüber hinaus 15 sogenannte ständige Gäste, die ein breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppen vertreten. Gegenwärtig wird der Abschlussbericht vorbereitet, der Mitte Dezember präsentiert werden soll.

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