Als Hartwig Braun am Telefon gefragt wird, was Arztbesuche in ihm auslösten, reagiert er nicht. Sein Begleiter Tim Leopold wiederholt: "Wie ging es dir sonst, wenn du beim Arzt warst?" Was er denn antworten solle, fragt Braun. Regelmäßig versucht Leopold, Braun ins Gespräch einzubeziehen. Doch die Redebeiträge bleiben bis zur Verabschiedung rar.
Braun lebt mit dem Downsyndrom und seine kommunikativen Fähigkeiten sind stark eingeschränkt. Oft begleiten ihn der Heilerziehungspfleger Leopold oder andere pädagogische Fachkräfte in alltäglichen Situationen – unter anderem zu Arztterminen. Solche Besuche lösten in dem 54-jährigen Braun meist enormen Stress aus, sagt Leopold. "Blutabnahmen hat er verweigert." Man habe Braun sogar einmal Beruhigungsmittel verabreicht, damit eine Behandlung möglich war, sagt der 42-Jährige Leopold weiter. Am MZEB sei es anders gewesen. "Dort konnte Herr Braun Vertrauen aufbauen, weil man sich dort Zeit genommen und den Menschen ganzheitlich betrachtet hatte."
MZEB, das steht für Medizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistigen und/oder schweren Mehrfachbehinderungen am Klinikum Bremen-Mitte. Dort werden Menschen wie Hartwig Braun mit einem Grad der Behinderung oberhalb von 70 behandelt. Aufgabe des MZEB soll es sein, die bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung dieses Personenkreises zu gewährleisten, wie sie die Behindertenrechtskonvention (BRK) fordert. Wegen Personalengpässen läuft die Versorgung derzeit jedoch eingeschränkt. Deswegen gibt es Kritik am Träger des MZEB, der Gesundheit Nord (Geno).
"Die Geno und das Klinikum Mitte haben offenbar nicht richtig eingeschätzt, wie aufwendig die multiprofessionelle Versorgung dieses Personenkreises ist", sagt Burkhard Mehl. Auch um einfache Fragestellungen mit diesen Personen zu klären, könne das mitunter zehn bis 15 Personenstunden dauern. Mehl war bis 2017 Leiter des Sozialpädiatrischen Instituts am Klinikum Bremen-Mitte. Dort ist auch das MZEB angebunden.
Der 71-Jährige beschäftigte sich jahrelang mit Plänen für ein MZEB. Er hat den Eindruck, dass das Zentrum personell nicht ausreichend ausgestattet ist und die angestrebte Kooperation mit anderen Kliniken nicht funktioniert, sagt der pensionierte Mediziner. Das sei verwunderlich. "Die Geno verfügt schließlich über ein entsprechendes Netzwerk an Spezialisten."
Die Sprecherin der Geno, Karen Matiszick, weist diesen Vorwurf zurück. Man wisse um die Notwendigkeit intensiver Betreuung von Menschen mit schweren Behinderungen und die sprachlichen, körperlichen und emotionalen Hürden bei Arztbesuchen. "Gerade hier setzt die Aufgabe des MZEB an – es soll die Betreuung durch niedergelassene Ärzte nicht ersetzen, sondern das Hilfesystem ergänzen", sagt sie.
Kritik des Landesbehindertenbeauftragten
Zum Team des Zentrums gehören seit Beginn an ein Arzt und eine Ärztin, eine Ergotherapeutin, eine Logopädin, ein Neurologe, eine Fallmanagerin und eine Fachpflegekraft sowie eine Psychologin und eine Physiotherapeutin. Derzeit arbeitet die Fallmanagerin nach eigenen Angaben als einzige Beschäftigte in Vollzeit am MZEB.
"Nach einer Anfangsphase mit eher niedrigen Patientenzahlen sollte das Personal dem erwarteten höheren Bedarf angepasst werden", sagt Matiszick. So seien zum September die Stunden der Psychologin und der Physiotherapeutin aufgestockt worden. Momentan jedoch stünde nicht das komplette Personal zur Verfügung, sagt die Geno-Sprecherin. "Die ärztliche Leiterin des MZEB ist leider seit längerem erkrankt." Zudem sei es in den vergangenen Wochen – insbesondere im August – durch coronabedingte Ausfälle zu Terminabsagen gekommen. Auch Braun ist nach Angaben seines Betreuers länger nicht mehr dort gewesen. Wie es um neue Termine stünde, könne er nicht sagen.
Der Landesbehindertenbeauftragte Bremens, Arne Frankenstein, fordert, dass das Zentrum so aufgestellt werde, dass es seinem Auftrag gerecht werde. Dies sei nicht nur politisch seit Jahren gewollt, sondern auch rechtlich geboten. "Es ist nicht hinzunehmen, dass strukturelle Probleme auf dem Rücken behinderter Menschen ausgetragen werden", sagt Frankenstein.
Wann das Zentrum in den Regelbetrieb zurückkehrt, ist unklar. "Wir suchen derzeit intensiv nach einer Lösung für diese Situation, die unbestritten schwierig ist", sagt Matiszick. Im Bereich der Sozialarbeit greift das MZEB auf den Dienst des Klinikums-Mitte zurück. Darüber hinaus schwierig sei es aktuell schwierig, das Zentrum personell durch Beschäftigte anderer Krankenhäuser aufzustocken. "Die sind durch die Pandemie derzeit extrem belastet und leiden unter personellen Engpässen."