Große Filteranlagen, die das Treibhausgas CO2 aus der Luft fischen, neu gepflanzte Wälder und wiedervernässte Feuchtmoore, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre für viele Jahre in Biomasse und Boden binden: Seit sich abzeichnet, dass die Menschheit wohl noch zu viele Treibhausgase emittieren wird, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu begrenzen, gewinnen Ansätze an Bedeutung, die darauf abzielen, CO2 der Atmosphäre wieder zu entziehen, um diese kritische Schwelle möglichst schnell wieder zu unterschreiten.
Sowohl technische als auch natürliche Ansätze konzentrieren sich dabei auf Maßnahmen an Land. Warum aber nicht das Meer und seine Ökosysteme ebenfalls als natürliche CO2-Senke nutzen?
Unter dem Begriff „blauer Kohlenstoff“ macht diese Idee seit einigen Jahren unter Forschern die Runde. Martin Zimmer vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) gehört zu jenen, die dieses Klimaschutzpotenzial heben wollen. Er koordiniert den Forschungsverbund Sea-4-Society, zu dem zehn Institute in Norddeutschland sowie weitere Partner in Kolumbien und Malaysia gehören.
Badegäste sind nicht erfreut
Zimmer selbst untersucht naturbasierte Ansätze. „Ich glaube, dass ein natürlicher Ansatz eine größere gesellschaftliche Akzeptanz erfährt“, begründet der Forscher seinen Fokus. „Außerdem erbringen natürliche Lösungen neben der Kohlenstoffbindung weitere Ökosystemleistungen für die lokale Bevölkerung.“ Was das bedeutet, erläutert Zimmer an den Potenzialen von Nord- und Ostsee.
An den deutschen Küsten sind es vor allem Seegraswiesen und Salzmarschen, die Kohlendioxid aus der Luft entfernen, während Zimmer an tropischen Küsten Mangroven erforscht, die dort diese Funktion erfüllen. „Seegraswiesen sind für Strandbesucher nicht immer zugänglich und sichtbar, und wenn, dann fühlen sich Badegäste eher gestört, wenn die langen Blätter an den Beinen kitzeln“, sagt Zimmer.
Inzwischen hätten Seegraswiesen jedoch positive Aufmerksamkeit gewonnen, weil bekannter wird, wie wertvoll diese Ökosysteme für Fische und andere Tiere im Meer sind – und damit für die Fischerei. Außerdem schützen sie das Sediment der Küste gegen die Wellenwirkung und helfen eben gegen den Klimawandel. „Wie wichtig Seegraswiesen für die Küste sind, sieht man dort, wo sie verloren gegangen sind“, berichtet der Meeresökologe. „Dahinter zieht sich die Küste immer weiter zurück, man kann regelrecht zusehen.“
Salzmarschen wiederum sind entlang der Küsten altbekannt und geschätzt. „Aber deren Erweiterung würde verlangen, kurze Deichabschnitte einzureißen oder Deiche in den Wintermonaten zu öffnen, damit die Flächen dahinter geflutet werden und sich Salzmarschen ansiedeln können“, schildert Zimmer. Dadurch könne sich etwa die Schafwirtschaft betroffen fühlen oder Menschen, die hinter den Deichen leben, befürchten, dass deren Schutzfunktion verloren gehe.
„Meist sind das gefühlte Sorgen“, beruhigt der Experte. „Die Salzmarschen selbst haben bei Hochwasser eine Schutzfunktion und puffern das Wasser besser ab als andere Flächen das hinter einem überspülten Deich könnten.“ Nicht zuletzt lagern Salzmarschen Sedimente an, wachsen somit in die Höhe und passen sich – anders als Deiche – ganz natürlich an den steigenden Meeresspiegel an.
Zimmer erforscht am ZMT vor allem Mangroven. Ihm ist klar, dass sich nicht die ganze Küste mit entsprechenden Ökosystemen besiedeln lässt, denn in den Tropen wie an deutschen Küsten müssen auch Fischerei, Tourismus und weitere Bedarfe ihren Platz finden. Darum will er im Forschungsprojekt herausfinden, welche Lösungen wann und wo optimal sind.
Geeigneter Artenmix
Salzmarschen können mehr Kohlenstoff einlagern als Seegraswiesen. Andererseits ist der Kohlenstoff im Sediment unter Seegraswiesen stabiler, bliebe dort also länger eingelagert. „Welche Lösung für den Klimaschutz besser ist, erforschen wir noch“, sagt Zimmer. Dazu zählt die Frage, welcher Artenmix besonders geeignet ist, um CO2 zu binden. Ökosystem-Co-Design heißt das in der Fachsprache. Und das ist nicht immer einfach: In der Ostsee etwa wird bereits Seegras wieder ausgeweitet. „Aber die dort dominante Art kommt mit hohen Temperaturen nicht gut klar und kann sich wahrscheinlich nicht schnell genug anpassen“, erläutert der Forscher ein mögliches Problem. Das Projekt Sea-4-Society analysiert daher anhand von Modellen auch die Situation in zehn oder 20 Jahren.
Die Beteiligten wollen Chancen und Risiken ihrer Eingriffe genau abschätzen und suchen dazu auch den Dialog mit den Menschen vor Ort. Gerade Umweltverbände sind nicht immer begeistert, wenn es nicht darum geht, Ökosysteme genauso wiederherzustellen, wie sie einmal waren, sondern so zu gestalten, dass sie möglichst effizient gegen den Klimawandel wirken. „Das ist eine wichtige Debatte“, findet Zimmer.
Wie groß der Klimanutzen von Seegraswiesen und Salzmarschen sein kann, versucht das Projekt zu bemessen. „Dazu werten wir gerade Daten aus“, sagt der Koordinator. Der Beitrag der eher kurzen deutschen Küste sei wohl klein. „Aber global kompensieren Küstenökosysteme bereits bis zu zwei Prozent der jährlichen Emissionen“, weiß Zimmer. Gelänge es, diese Systeme um mindestens ein Viertel zu vergrößern und reduzierten die Menschen ihre Emissionen, könnten daraus fünf, sechs oder mehr Prozent werden, schätzt der Forscher.
Risikoarmer Ansatz
Auch wenn die Forschung viele Fragen erst in den kommenden Jahren beantworten kann, plädiert Zimmer dafür, schon jetzt mit den natürlichen Lösungen zu beginnen. „Wir wissen, wie es technisch geht, Ökosysteme neu anzulegen oder zu restaurieren, und wir sind sehr zuversichtlich, dass das ein sehr risikoarmer Ansatz ist.“ Anders gesagt: Es kann nicht viel schiefgehen, außer dass die Ökosysteme weniger CO2 speichern als erhofft. Ihre sonstigen Ökosystemleistungen erbringen sie in jedem Fall. Deshalb wirbt der Forscher schon heute: „Lassen Sie uns diese Ökosysteme so großflächig wie möglich erweitern.“