Wird gemeinhin Menschen gedacht, die sich um das Wohl einer Stadt verdient gemacht haben, dann geht das so: Verdienste werden aufgezählt und ein paar positive Eigenschaften. Eingestreut wird das eine oder andere persönliche Wort. Man erweist jemandem Ehre, so gehört es sich. Ist es vorbei, sprechen alle davon, wie bewegend es gewesen sei.
Für Michael Börgerding, der am 12. Januar im Alter von 64 Jahren gestorben ist, gab es keine Gedenkveranstaltung. Das wäre irgendwie unpassend gewesen: zu steif, einfach nicht richtig für diesen Menschen, der so vielen so viel bedeutet hat. Theater und Stadt hatten daher alle Bremerinnen und Bremer am vergangenen Sonnabend zu einer Abschiedsfeier in die Wirkungsstätte des langjährigen Generalintendanten geladen: das Theater am Goetheplatz. Das einfache Motto "Danke, Michael!" zeigte in die Richtung, die zwei Stunden lang die bestimmende sein sollte: Seine Theaterfamilie, aber auch das voll besetzte Auditorium, gedachte nicht, sondern dachte an ihn und an viele Momente mit ihm.
"Sie haben dich alle groß lieb", zitierte Alize Zandwijk, Leitende Regisseurin im Schauspiel, aus einer ihrer letzten SMS an Michael Börgerding, nachdem er ihr das ihm gewidmete Adventsvideo des Schauspielensembles weitergeleitet hatte. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen, und: Kann man jemandem ein schöneres Kompliment machen?
Ausschnitte aus Liederabenden
Von Hochachtung und von einer sehr tiefen Verbundenheit war diese Veranstaltung geprägt für einen Chef, den sie alle nur Michael nannten und der das Theater seit 2012 wieder zu einem Haus gemacht hat, dessen Produktionen aufregend sind. Die sichtlich um Fassung ringende kaufmännische Geschäftsführerin Swantje Markus hatte zu Beginn der Feier erklärt: "Wenn wir alle angedachten Beiträge berücksichtigt hätten, hätte sie Tage gedauert."
So gab es kurze Ausschnitte aus Produktionen, die Michael Börgerding wichtig waren. Sopranistin Nadine Lehner sang die Arie "Am I in Your Light" aus der Oper "Doctor Atomic" von John Adams, aus den Liederabenden von zweien seiner popkulturellen Hausgötter gab es "Because The Night" von Patti Smith und "Hallelujah" von Leonard Cohen. Beide mit höchster Intensität von Mitgliedern des Schauspielensembles vorgetragen. Bassist Patrick Zielke, seit 2017 in Mannheim engagiert, war angereist, um die "Milonga Carrieguera" aus "María des Buenos Aires" von Astor Piazzolla zu singen, 2016 inszeniert von Börgerdings Freund Andreas Kriegenburg. Aus Wajdi Mouawads "Die Vögel" destillierte das Schauspielensemble ein Credo seines verstorbenen Intendanten: Sich immer auf das andere einlassen, sich immer für den anderen einzusetzen.
Das habe Michael Börgerding auch ohne Wenn und Aber praktiziert, als es darum ging, Bremens freie Szene zu unterstützen, erinnerte sich Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD), die auch Aufsichtsratsvorsitzende des Theaters ist. Der "Solidarpakt für die Freie Szene" in Bremen strahlte schließlich bundesweit aus. Bürgermeister und Kultursenator Andreas Bovenschulte (SPD) hatte zuvor bereits den "kulturellen Brückenbau" Börgerdings, des "Ausnahmekünstlers", gelobt. Er habe keinen Dialog gescheut, mit seiner zurückhaltenden Art aber auch nie eskaliert. Weil Michael Börgerding, wie Autor Moritz Rinke sagte, "menschenfreundliches Theater" gemacht habe – selbstherrliches Getue und Geschrei wie bei Theaterautokraten alter Schule sei ihm fremd gewesen. Andreas Bovenschulte lobte übrigens nicht nur, sondern sorgte zudem mit einem Bonmot für Heiterkeit: "Ich selbst bin ja nicht am künstlerischen Theater, sondern im Staatstheater".
Denn auch das unterschied diese Abschiedsfeier von einer Gedenkveranstaltung: Es durfte auch mal geschmunzelt werden. Eine Fotocollage zum von den Bremer Philharmonikern gespielten "Walzer Nr. 2" aus der Jazz-Suite Nr. 2 von Dmitri Schostakowitsch zeigte einen Michael Börgerding, der auch mal mit einem Menschen im Pandakostüm posierte oder lächelnd auf einem Gabelstapler saß. Und sie zeigte das Transparent, mit dem die Ultras von Werder Bremen sich bei ihm, der eigentlich HSV-Fan war, für seine Unterstützung bedankten.
Eindringling auf dem Sessel
Schauspieler Alexander Swoboda erinnerte sich sehr launig an gemeinsame Stadionbesuche, bei denen der Chef "humorfrei Fußball geguckt habe". Und welcher Intendant lässt sich schon fesseln und knebeln, während ein Eindringling seinen Sessel übernimmt? Das war zu sehen im Video "Das Blaumeier-Atelier besetzt das Theater Bremen".
Zum Schluss erschien "Danke Michael!" auf der hinteren Bühnenwand, und alle, alle standen und applaudierten, eine, zwei, drei, fast zehn Minuten lang. Und schwiegen danach eine ganze Weile, bevor sich die Türen öffneten. Es war ein sehr würdiger Abschied.