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Nachruf auf Michael Börgerding Ein Theatermensch durch und durch

Bremen trauert um Michael Börgerding. Der Intendant des Theaters Bremen hinterlässt ein beeindruckendes Erbe und eine tiefe Lücke in der Kulturlandschaft.
13.01.2025, 19:00 Uhr
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Ein Theatermensch durch und durch
Von Iris Hetscher

Man konnte ihn treffen. Michael Börgerding saß im Sommer abends gerne an einem der Außentische des Theatro, unterhielt sich und grüßte jeden freundlich, der vorbeiging und ihn erkannte. Bei Premieren war er natürlich zugegen, aber manchmal sah man ihn auch bei zweiten oder dritten Vorstellungen im Foyer. Er wollte wissen, wie das ankam, was im Theater Bremen ausgeheckt wurde, es trieb ihn um.

Nun ist Michael Börgerding, geboren in Lohne, zu Hause in Bremen und beheimatet im Theater dieser Stadt, im Alter von 64 Jahren am Sonntagmorgen gestorben; nach schwerer Krankheit, aber doch plötzlich. Wer sich in Bremen für Kultur interessiert, ist tief erschüttert. Einer, der nachdenklich, zugewandt, überaus klug und über die Maßen engagiert war, ist nicht mehr da.

Michael Börgerding hatte das Theater Bremen in der Spielzeit 2012/2013 übernommen, und zwar mit ungeheurem Schwung. Schon in der ersten Spielzeitpressekonferenz war das zu spüren, als er sein Team präsentierte: junge Wilde allesamt. Das war kein Zufall, zuvor hatte er sich im WESER-KURIER dazu bekannt, man müsse "die jungen Leute ins Theater holen", weil: "Da ist ein Faden abgerissen".

Das bezog sich aufs Publikum, aber eben auch auf die, die Theater machen. Er brachte also mit: Benjamin von Blomberg, der das Schauspiel leitete, und Benedikt von Peter als Opernchef. Beide waren erst Anfang 30, hatten aber schon an renommierten Häusern Erfahrungen gesammelt. Mittlerweile sind sie weitergezogen: Benedikt von Peter ist Intendant in Basel, Benjamin von Blomberg war bis 2024 Intendant in Zürich. Für den Tanz wechselte der algerisch-französische Choreograf Samir Akika mit acht Tänzerinnen und Tänzern nach Bremen.

Umfassendes Netzwerk

Sie kamen, weil sie Michael Börgerding kannten, der sich seit dem Beginn seiner Theaterarbeit ein umfassendes Netzwerk aufgebaut hatte. Seit 1987 war er als Dramaturg, Regisseur und Theaterlehrer aktiv, zunächst am Jungen Theater in Göttingen, dann am Schauspielhaus Hannover, später am Hamburger Thalia-Theater, dann als erster Direktor der Theaterakademie Hamburg, einer Einrichtung, die die Studiengänge Schauspiel und Regie der Hochschule für Musik und Theater Hamburg umfasst.

Sein Ruf: Einer, der das zeitgenössische Theater liebt und fördert, der offen für Experimente ist, der das Haus öffnet für andere Künstler und unzählige Veranstaltungen. Und der, ebenfalls in seiner ersten Spielplanpressekonferenz in Bremen, bekannte: "Uns interessieren die Verlierer". Das Theater Bremen wurde wieder sozialkritischer als unter seinen Vorgängern.

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Michael Börgerding und sein Team machten sich daran, mit hartnäckiger Leidenschaft vor allem im Schauspiel und im Tanz neue inhaltliche wie formale Angebot zu formen. Das färbte auch auf das Musiktheater ab. All das ließ Theaterfreunde und -freundinnen auf keinen Fall kalt. Das Haus am Goetheplatz wurde zu einer Bühne, deren Produktionen manchmal bejubelt, manchmal hitzig diskutiert wurden, aber: Was gibt es Besseres für ein Theater, das den Anspruch hat, Teil der Stadtgesellschaft zu sein? Das sich reibt an den sperrig-rätselhaften Inszenierungen von Felix Rothenhäusler, der mitunter rabiaten Kapitalismuskritik von Armin Petras? Es gab mit Farbe um sich werfende Sänger in "La Bohème", Herbert Fritschs durchgefallene "Banditen", ein missglücktes Musical wie "Hair" oder ein "Weißes Rössl", das Zoten im Galopp präsentierte. Es gab "The Rake’s Progress" mit einer absurd-peinlichen Diskussion um angebliches Blackfacing der abstrakten Titelfigur.

Legendäre Liederabende

Aber es gab auch: "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", verteilt über das gesamte Theater am Goetheplatz. Den "Fliegenden Holländer" als atemberaubend modernen Zombie-Comic. Schon legendär zu nennende Liederabende rund um Element of Crime, Leonard Cohen, Patti Smith oder den Dauerbrenner "Istanbul". Sehr viele ambitionierte Romanadaptionen, das immer überraschende Theater von Alize Zandwijk oder Klaus Schumacher wie zuletzt bei "Vor Sonnenaufgang". Den jungen, wirbelwindigen Dirigenten Yoel Gamzou machte Michael Börgerding kurzerhand zum Musikdirektor des Theaters und gab damit jemandem eine Chance, der öffentlich betonte, wie wichtig es sei, sich stark am Publikum zu orientieren.

Denn das war bei aller Liebe zum Experiment natürlich sowohl Anliegen als auch Notwendigkeit für Michael Börgerding: Er hatte von seinem Vorgänger Hans-Joachim Frey Schulden in Höhe von 5,2 Millionen Euro übernommen. Die galt es, im Verein mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Geschäftsführer Michael Helmbold, abzubauen, was geklappt hat. Aber auch ansonsten mussten natürlich langfristig die Einnahmen stimmen. Dazu trugen Produktionen wie "Hello Dolly" oder "Orpheus in der Unterwelt" bei. Und was für eine tolle Idee, im Sommer draußen auf dem Goetheplatz zu spielen! Unkomplizierter kann Theater nicht sein.

Das Publikum, das vom Theater Bremen nicht wie von anderen Häusern während der Corona-Pandemie mit digitalen Produktionen versorgt wurde, dankte es. Es kam zurück, als sich der Vorhang wieder hob, und zwar in Scharen: Die Auslastung des Theaters liegt bei 90 Prozent; 180.000 Menschen waren es in der Saison 2023/24 – 11.000 mehr als in der Spielzeit zuvor. Wer regelmäßig im Zuschauerraum sitzt, weiß: Es sind mehr jüngere Menschen im Publikum als zuvor.

Das Theater hat an dem Tag, an dem sein Intendant gestorben ist, alle Vorstellungen abgesagt. Jetzt spielen sie weiter, das wäre wohl auch im Sinn von Michael Börgerding gewesen. Er fehlt nun. In seinem Büro mit der sagenhaften Kaffeemaschine, in den Fluren, in den Foyers. Oder an einem der Tische vorm Theatro. Als Theatermacher und einfach auch als feiner Mensch.

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