Wenn es um Beethoven geht, macht der Deutschen Kammerphilharmonie seit ihrem CD-Zyklus niemand etwas vor. Und so fand die chinesische Dirigentin Elim Chan, 1989 in Hongkong geboren und seit 2019 Orchesterchefin in Antwerpen, bei ihrem Bremer Debüt in der Glocke gleichgestimmte Partner für eine Interpretation der vielgespielten 5. Sinfonie c-Moll op. 67, die vor Energie nur so sprühte.
Dass man Beethovens zügige Tempi und alle Wiederholungen spielte, versteht sich heute von selbst. Aber Chan führte auch vor, wie sich der bedrohliche Impuls des berühmten "Ta-ta-ta-taaa"-Kopfmotivs bis ins Aufstrahlen des Finales fortsetzt und wie unheimlich in den Mittelsätzen ständig die Beleuchtung wechselt. Der siegreiche Schlussmarsch durfte dann umso heller leuchten. Kurz: Chan dirigierte eine im Krieg entstandene Sinfonie und die Schilderung eines Freiheitskampfes – fünf Monate nach der Uraufführung Ende 1808 besetzte Napoleon Wien zum zweiten Mal.
Als passende Einstimmung auf das Brodeln des Widerstands hatte Elim Chan zuvor Jörg Widmanns Konzertouvertüre "Con brio" (Mit Feuer) von 2008 aufgeführt, die Beethovens Lieblingsanweisung auf die Schippe nimmt. Widmann skelettiert die rhythmischen Energien und plötzlichen Akzente, lässt die Instrumente fröhlich wie eine alkoholisierte Vorortkapelle lärmen. Es klappert, klopft und knurrt, zischt und pfeift, bis Beethoven die Luft ausgeht – mehrmals pusteten die Bläser wie erschöpft tonlos in ihre Röhren. Das kundige Publikum erkannte schmunzelnd Einzelfetzen aus dem wirbeligen Finale der Siebten, selten haben zehn Minuten moderne Musik so viel Heiterkeit ausgelöst.
Das war die zweite Halbzeit, und deren Schlussjubel überstrahlte noch die hochrangige erste. Zu Beginn des Abends hatte sich Kian Soltani den Bremer Hörern mit Antonín Dvoráks Cellokonzert h-Moll op. 104 vorgestellt. Der 30-jährige Vorarlberger aus einer iranischen Musikerfamilie – der Vater Fagottist, die früh verstorbene Mutter Harfenistin – ist nicht nur ein Hingucker, er spielt das attraktivste Konzert der Celloliteratur auch ebenso schön. So unverkratzt, so geschmeidig in allen Doppelgriffen und chromatischen Läufen erlebt man Dvoráks Spätwerk von 1895 nur selten. Auch gestalterisch hatte der Österreicher das Werk fest im Griff. Fast schon zu edel, diese Perfektion.
Doch es fehlte etwas. Soltanis mittelgroßer Celloton, mit wenig Obertonsüße, aber viel Vibrato ausgestattet, mutete auf Dauer reichlich nüchtern an. Statt böhmischer Wärme vernahm man eher nordisch-kühle Klarheit à la Grieg und Sibelius. Dass Soltani bei vielen sehnsüchtigen Momenten den Kopf verträumt zurücklehnte und das Tempo zurücknahm, konnte den Eindruck einer gewissen Glätte nicht ausgleichen. Zumal er auch den Kontakt zum Orchester mit den fabelhaften Bläsern auf das Nötigste beschränkte, Dirigentin Elim Chan blieb nicht viel mehr übrig als die Rolle der durchsichtig, nie dröhnend musizierenden Begleiterin.
Ungeachtet solcher Einwände spielt Kian Soltani bereits in einer sehr hohen Liga. Als Zugabe stellte er mit der Cellogruppe im eigenen Wiener Kaffeehaus-Arrangement das Lied "Lasst mich allein" vor, das Dvorák im Cellokonzert verarbeitet hat. Ausstrahlung hat der Barenboim-Schützling zweifellos.