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Bremer Literaturpreis Spießer beim Dinner und "Mutter" auf der Suche

Der Bremer Literaturpreis geht an Teresa Präauer und Katharina Mevissen. Ihre Romane sind knapp und parabelhaft, mit namenlosen Figuren und wenig Geschichte. Doch was steckt dahinter?
20.01.2024, 05:00 Uhr
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Spießer beim Dinner und
Von Iris Hetscher

Der Bremer Literaturpreis ehrt in diesem Jahr zwei junge Autorinnen: Teresa Präauer ("Kochen im falschen Jahrhundert") mit dem Hauptpreis und Katharina Mevissen ("Mutters Stimmbruch") mit dem Förderpreis. Sie werden am Montag, 22. Januar, in der Oberen Rathaushalle für zwei Romane ausgezeichnet, die eine Gemeinsamkeit aufweisen: Es sind knapp gehaltene, parabelhafte Werke mit Figuren, denen keine Namen und wenig persönliche Geschichte gegönnt werden. Was hat es damit auf sich?

"Kochen im falschen Jahrhundert"

Ein Abend mit Freunden in der neuen Wohnung. Mit dabei sind die Gastgeberin und ihr Lebensgefährte, ein befreundetes Ehepaar, ein "Freund aus der Schweiz", später noch amerikanische Touristen. Doch die waren eigentlich gar nicht eingeladen. Die österreichische Schriftstellerin Teresa Präauer erzählt von jungen bis mittelalten, gut situierten Städtern, die Szenerie könnte im Prenzlauer Berg angesiedelt sein oder im Bremer Ostertorviertel. Alle geben sich sehr viel Mühe, als weltoffene, fortschrittliche Semi-Bohemiens durchzugehen, und doch sind sie einfach nur die Spießer von heute. 

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Präauer schildert diesen Abend als Versuchsanordnung mit schwer ironischem Zungenschlag: "Kochen im falschen Jahrhundert" nimmt immer wieder neu Anlauf, geht zurück auf Anfang und ändert den Ablauf. Entfernt sich immer weiter von diesem Event, von dem möglichst alle im Nachhinein noch auf Instagram schwärmen sollten. Denn makellos hätte es die Gastgeberin schon gerne. Immerhin hat sie sich so viel Mühe mit den Vorbereitungen gegeben – weshalb im Buch auch Kochrezepte und Getränkelisten auftauchen. Sie hat eigens Wiesenblumen in einer Vase auf dem neuen Designertisch drapiert. Und fürchtet nun, Weinflecken könnten das gute Stück ruinieren. Doch sie wahrt die Fassade – alles kein Problem, wir sind doch locker drauf. Dabei vergeht sie innerlich fast vor Sorge.

Jede Version entlarvt die Illusion von der coolen Einzugsparty ein Stückchen mehr. Aus dem Small Talk, den Präaauer genüsslich als verblasenes Geschwätz entlarvt, wird Streit, der Quasi-Überfall der amerikanischen Touristen sorgt für Chaos und sogar Sex. Präaauer hat dem Abend zudem einen fein kommentierenden Soundtrack beigegeben: Natürlich läuft Jazz (weltoffen, fortschrittlich!), und wenn der Lebensgefährte mit dem teuren dänischen Geschirrtuch Wasserflecken vom (empfindlichen Holz-)Boden wischt, spielt das Oscar Peterson-Trio "Close your eyes" – schau' nicht hin. Man darf sich bei Teresa Präauer erinnert fühlen an Theaterstücke von Yasmina Reza ("Der Gott des Gemetzels") oder auch an Filme wie "Das perfekte Geheimnis". Was das Lesevergnügen nicht schmälert. 

"Mutters Stimmbruch"

Auch der Roman der in Bremen geborenen Autorin Katharina Mevissen hat mit "Mutter" eine Hauptfigur ohne Namen. Mevissens Tonfall ist poetisch, das Buch ist von der Form her weniger Roman denn eine surreal-märchenhafte, in oft knappen Sätzen geschilderte Betrachtung, aufgeteilt in Kurz-Kapitel. Gewürzt mit leichter Komik, ist ihre Annäherung an "Mutter" durchaus liebevoll, bleibt aber rätselhaft.

"Mutter" ist offenbar schon älter, die Kinder sind längst ausgezogen aus dem ebenfalls alten und baufälligen Haus auf dem Land, in dem sie alleine wohnt. Etwas baufällig ist auch "Mutter": Die Zähne fallen aus, ihr ist ständig kalt, und schließlich verliert sie sogar ihre Stimme. Auch die "neun Sprachen", die sie beherrscht, darunter die "Gartensprache", die "Haussprache" und die "Kindersprache", gehen ihr verloren.

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Diese brachiale Version der Wechseljahre erzählt Mevissen entlang des Verlusts der symbolisch aufgeladenen Zähne, die man ja nicht nur zur Nahrungsaufnahme, sondern auch zum Sprechen braucht, und die in der Psychoanalyse zudem eine sexuelle Bedeutung haben. Doch es ist auch die Geschichte eines Aufbruchs, eines Neuanfangs. "Mutter" zieht in die Stadt, in eine Dachgeschosswohnung, bekommt ein Gebiss und eine neue, tiefere Stimme: "Mutter weiß manchmal nicht, wohin mit der großen Stimme. Verschweigen lässt sie sich nicht – zumindest nicht mehr lange."

Nach und nach wird ihr warm, auch Lust kann sie wieder empfinden; eine Telefonzelle und die Stimme (!) der Auskunft spielen da eine überaus kuriose Rolle. Bis Mevissen über "Mutter" schreiben kann: "Ihr Körper ist ein großzügiger, warmer Raum." Ein ungewöhnliches Buch, über das man lange nachdenkt und in das man gerne immer wieder hineinliest. 

Info

Teresa Präauer: Kochen im falschen Jahrhundert. Wallstein, Göttingen. 198 Seiten, 22 €. 

Katharina Mevissen: Mutters Stimmbruch. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin. 112 Seiten, 22 €. 

Die beiden Literaturpreisträgerinnen lesen am Sonntag, 21. Januar, um 18 Uhr in der Glocke aus ihren Romanen. 

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