Eine solche Bilanz ist gerade im Jahr des 200-jährigen Bestehens eher unerquicklich, und wohl deshalb wurde sie bisher sehr diskret behandelt: Die Bremer Philharmoniker GmbH wird die Saison 2023/24 voraussichtlich mit einem Jahresdefizit von 1,268 Millionen Euro beschließen. Dies geht aus dem Bericht des Beteiligungscontrollings für das erste Halbjahr 2024 hervor, der dem WESER-KURIER vorliegt. Darin heißt es außerdem: „Zum Ende des Geschäftsjahres (…) ist das prognostizierte Eigenkapital mit minus 629.000 Euro deutlich negativ.“ Es würden derzeit Möglichkeiten geprüft, die Rücklagen zu erhöhen.
Die Liquiditätssituation stelle sich kritisch dar, so der Bericht weiter. Die Lösung: Zuwendungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro, die eigentlich für das Geschäftsjahr 2024/25 vorgesehen waren, sollen jetzt schon abgerufen werden. So könne „eine Liquiditätslücke zum Jahresende vermieden werden“. In dieser Situation hat Bürgermeister und Kultursenator Andreas Bovenschulte außerdem zugestimmt, dass die für dieses Jahr eingeplanten, aber wegen der Bauverzögerung nicht benötigten Mittel für die Miete des Stadtmusikanten- und Literaturhauses in Höhe von 720.000 Euro dazu verwendet werden, im Jahr 2025 die Rücklagen der Philharmoniker zu erhöhen.
Wie Werner Wick, der Sprecher des Kulturressorts, mitteilt, hat der Haushaltsausschuss diese zuvor in der Kulturdeputation beschlossene Regelung gebilligt. Das Geld werde den Philharmonikern nicht geschenkt, sondern nur geliehen. Das Orchester soll die 720.000 Euro also wieder zurückzahlen, über den Zeitraum wird noch verhandelt. „Wir haben das Problem erkannt und eine schnelle Lösung für dieses Jahr gefunden“, so Wick. „Das Orchester steuert bereits gegen und muss im kommenden Jahr höhere Einnahmen generieren.“
Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz bestätigte den Vorgang, mochte sich zu Details aber nicht äußern. Sie verwies darauf, dass diese Entscheidung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen wurde. Man wolle nicht, dass das Orchester ausgerechnet im Jubiläumsjahr Schaden nehme und ihm vielmehr hilfreich zur Seite stehen.
Glaubt man Stimmen aus der Kulturpolitik, liegen die Gründe für das Minus vor allem in der schwierigen Situation, die durch den überraschenden und sehr kurzfristigen Rücktritt von Christian Kötter-Lixfeld im Sommer 2022 entstanden ist. Kötter-Lixfeld war seit 2002 Intendant und Geschäftsführer, bei seinem Weggang gab es ein Plus von 1,1 Millionen Euro in der Kasse.
Ambitionierte Programme
Der eilends engagierte Interimsintendant Wolfgang Fink, der von Herbst 2022 an für das künstlerische Konzept des Orchesters verantwortlich war (auch ein Großteil der laufenden Jubiläumsspielzeit trägt noch seine Handschrift), sei ein ambitionierter, aber offenbar zu optimistischer Programmgestalter gewesen, heißt es aus informierten Kreisen. So habe etwa die Einladung des Rundfunkchors Berlin für die Aufführung von Gustav Mahlers 2. Sinfonie im vergangenen Juni hohe Personalkosten verursacht.
Weil es nicht gelungen sei, das in der Zeit der Epidemie abgewanderte Publikum in alter Zahl zurückzulocken, hätten sich die erwarteten Einnahmen nicht eingestellt. Als weitere Gründe für die roten Zahlen nennt das Beteiligungscontrolling „neben der temporären Doppelbesetzung von Intendanz und Geschäftsführung“ auch den „vermehrten Einsatz von Fremdpersonal aufgrund von Krankheitsausfällen und Mutterschutz“.
Inzwischen steuert das Orchester um. Von den zwölf Philharmonischen Konzerten der Saison werden nur noch drei jeweils an drei Tagen gespielt; die übrigen Programme beschränken sich auf je zwei Aufführungen. Auch ist eine stärkere Fokussierung auf publikumswirksame Auftritte im Tabakquartier geplant, um neue Besucherschichten anzusprechen. Weitere Maßnahmen werde ein Zukunftskonzept enthalten, das man im Frühjahr 2025 präsentieren wolle, so Carmen Emigholz.
Guido Gärtner, erst seit März neuer Intendant der Bremer Philharmoniker, äußerte sich auf Nachfrage betrübt über die Situation, die er vorgefunden habe und die seine Gestaltungsspielräume einschränke. „Aber an meinem Blick auf das Orchester hat das nichts geändert. Es bestärkt mich nur daran, an den Stellschrauben zu drehen, die ich mir vorgenommen habe, um die Philharmoniker auf bessere Gleise zu stellen.“ Man müsse das Minus aus eigener Kraft ausgleichen, etwa durch Einsparungen bei Gastsolisten. „Auf keinen Fall möchten wir unsere roten Zahlen auf Kosten anderer Bremer Kulturangebote sanieren.“