Herr Schünemann, Ihr Roman "Bis die Sonne scheint" spielt im Jahr 1983 und handelt von der sechsköpfigen Familie Hormann in Heilshorn bei Osterholz-Scharmbeck. Vater Siegfried, Mutter Marlene, zwei Töchter, zwei Söhne. Der Ich-Erzähler ist der 15-jährige Daniel, der jüngste von allen. Er bekommt mit, dass seine Eltern bankrott sind. Das Geschäftsmodell seines Vaters, eines freiberuflichen Architekten, funktioniert nicht mehr. Später im Buch erfährt man, dass Sie hier Ihre eigene Familiengeschichte erzählen, dass Daniel ihr Alter Ego ist. War es schwierig, dieses Scheitern aufzuarbeiten?
Christian Schünemann: Ich hätte das Buch wahrscheinlich nicht schreiben können, wenn meine Eltern noch leben würden. Anfangs fiel es mir schwer, die richtige Erzählform zu finden. Ich habe ein Elefantengedächtnis für vermeintlich unwichtige Sachen und musste den roten Faden finden, der alles miteinander verbindet – das war dann der ständig bevorstehende Bankrott und dieses anhaltende Nicht-wahr-haben-wollen der Realität, bis es am Ende zur Zwangsversteigerung kommt. Ein Familienleben unter dem Damoklesschwert.
Sie schieben in die Ich-Erzählung zusätzlich im Chronistenton die Geschichten der Großmütter ein, Marlenes Mutter Lydia aus Oberschlesien und Siegfrieds Mutter Henriette aus Bremen-Walle, eine überzeugte Nationalsozialistin.
Es ging mir darum, zu zeigen, aus welchem "Stall" Daniels Eltern kommen. Ich hatte das riesige Glück, ein paar fantastische Quellen nutzen zu können: 261 Briefe, die meine Mutter zwischen 1958 und 1994 aus Deutschland an ihre geliebte Schwester geschrieben hat, die Ende der 1950er-Jahre in die USA ausgewandert ist. In den Briefen schildert meine Mutter den Alltag unserer Familie teilweise minutiös. Seitdem ich das Buch geschrieben habe, verstehe ich viel besser, warum meine Eltern sich damals so verhalten haben.
Im Roman fahren die Eltern, als der Gerichtsvollzieher schon vor der Tür steht, noch mal spontan für ein paar Tage im Auto nach Südfrankreich, weil dort die Sonne scheint. Ist das nicht ungewöhnlich für die Nachkriegsgeneration, die das Geld zusammenhielt?
Oma Lydia und Marlenes Schwester Ingeborg in den USA sind genauso, wie Sie es sagen: sparsam und vernünftig. Marlene schlägt etwas aus der Art. Ich erkläre es mir dadurch, dass ihr in der Schule und im Bürojob alles zugeflogen war. Aber genau wie meine Mutter durfte sie, wie so viele Frauen in den 1950er-Jahren, kein Abitur machen, später hat sie ihren Beruf der Kinder wegen aufgeben müssen. Wegen solch verpasster Chancen glaubt sie wohl auch, dass ihr etwas Besseres zugestanden hätte. Ihr Impuls, wenn’s schwierig wird, hinzuschmeißen und etwas Neues anzufangen, hat mich beim Schreiben manchmal richtig wütend gemacht.
Beim Vater sieht es ja nicht anders aus ...
Auch Siegfried bildet keine Rücklagen, sondern hat den Drang, es sich gut gehen zu lassen, wenn Geld da ist. Was ich aber auch sympathisch finde, dieses Alles-wollen. Der Motor meiner Eltern war stets der Satz: Probleme sind ja nur vorübergehend.
Was ziehen Sie an positiver Erkenntnis daraus?
Finanziell schwierige Situationen können meine Geschwister und mich nicht schocken. Wir sind uns alle nicht zu schade, wenn Not am Mann ist, sofort jeden Job anzunehmen. Und wir trauen uns auch alles zu. Wie unsere Eltern. Meine Mutter hat einen Wollladen aufgemacht oder ist losgefahren als Vertreterin für Schnellkochtöpfe.
Was haben denn Ihre Verwandten zu dem Buch gesagt?
Ich habe der ältesten Schwester meines Vaters, die 97 Jahre alt ist, die Passagen über ihre Mutter Henriette vorgelesen. Ihre Reaktion war: "Na, die kommt viel zu gut weg!" Mein Bruder hat es so zusammengefasst: "Es war alles anders – und genauso war’s."