Marunde liebt das Runde. Der Zeichner malt mit Lust bullige Bauern, vollbusige Weiber und schmerbäuchige Säue. „Ich mag Menschen, die einen Schatten werfen“, sagt der Norddeutsche, der zwischen Schweinen und Homo sapiens nicht groß unterscheidet.
Wolf-Rüdiger Marundes Hang zur Fettleibigkeit hat aber noch weitere Gründe. Die Rundungen seien für den Zeichner eine sinnliche Erfahrung und im Übrigen viel einfacher zu malen als dürrwänstige Körper mit ihren Ecken und Kanten. Er mag mit Farben nicht krakeln, sondern klotzen. So erklärt der 66-Jährige, was ihn veranlasst, die Welt nicht einfach flach zu betrachten. Er möchte Geschichten erzählen, das Davor und Dahinter offenbaren.
Oft entstehen so detailreiche Perspektiven, die ein Unglück erahnen lassen. Weil es aber irgendwie ausbleibt, breitet sich ein Gefühl von Glück aus. Marunde meint, dass er jeden verstehe, auch wenn er oft mit dessen Meinung nicht einverstanden sei. Jeder habe gute Gründe für sein Handeln und dürfe nicht einfach als Idiot abgestempelt werden. Der Cartoonist möchte wissen, wieso Frauen oder Männer so sind wie sie sind und warum sie sich verhalten, wie sie sich verhalten. „Wenn ich nicht zufällig zeichnen könnte, wäre ich Anthropologe geworden“, sagt er.
Sein Versuchsfeld für die Wissenschaft vom Menschen befindet sich im Wendland. In einem 80-Seelen-Dorf unweit von Gorleben lebt der Karikaturist auf einem Hof. Die Gegend gleicht einem stillen Wasser, das Tiefe ahnen lässt. Die Idylle dient ihm als Tatort. Bewaffnet mit einer Kamera fängt Marunde bei Wanderungen Vorbilder für seine Malwerke ein. Gemäldehaft pinselt er später in seinem Hof-Atelier in Acryl oder als Aquarell die eingefangenen Motive komisch auf die Leinwand.
Humor ist schwer finanzierbar
Gelernt hat der gebürtige Hamburger das Handwerk an der Fachschule für Gestaltung in seiner Geburtsstadt. 1976 verließ er die Fachhochschule mit dem Abschluss als Diplom-Designer. Schon währende des Studiums lieferte der Gestalter erste heitere Zeichnungen an die Satire-Magazine „MAD“ und „Pardon“.
Dass beide Zeitschriften nicht mehr existieren, liegt ganz sicher nicht an Marunde. Es ist eher ein Hinweis darauf, dass Humor schwer finanzierbar ist und es auch mitten im Lachdown der Virenkrise kein staatliches Förderprogramm gibt, das freiberuflichen Künstlerinnen und Künstlern unbürokratisch einen Zuschuss für originelle Einfälle überweist. Keiner investiert einfach so aus Spaß in scheinbar wertlose Papiere.
Dabei lohnt sich die Investition gerade bei Marunde. Seine großformatigen Karikaturen lassen erahnen, dass das einzig Beständige in der Welt die Katastrophe ist. Das zeigt auch jene Karikatur, mit der der Norddeutsche beim diesjährigen Deutschen Karikaturenpreis die Jury überzeugte und den ersten Preis gewann. Zu sehen ist ein verlassener Ort, eine Tankstelle zum Auftanken eines mentalen Irgendwas. Da hat sich einer auf dem Land eingestellt auf die neue Welt, in der vegane Snacks die neue Bockwurst sind.
Warum soll er das Kaff verlassen, wenn auch mit einem E-Bike-Verleih vielleicht, möglicherweise, wer weiß, eines Tages der große Reibach machen lässt. Oder auch nicht. Die Hoffnung ist schon tot, aber der Mensch stirbt zuletzt, er ist anpassungsfähiger als ein Mistkäfer. Deshalb lebt er noch, der Mensch. Diese Ödnis ist lachhaft und gleichzeitig so traurig, dass jeder versteht, was es heißt, von der rasenden Welt da draußen vor der Dorfgrenze abgeschnitten zu sein und dennoch durchzuhalten.
Wolf-Rüdiger Marunde veröffentlichte seine Karikaturen im Magazin „Stern“, in der Frauenzeitschrift „Brigitte“ oder in der „Hörzu“. Er produziert seit Jahren Bücher und Kalender mit Titeln wie „Landleben“, „Landgang“, „Land unter“, „Lass den Hund bellen“, „Am Busen der Provinz“ oder „Neues aus Schweinhausen“. Damit wurde er in den 1980er-Jahren bekannt. Zusammen mit dem Autor und Satiriker Dietmar Wischmeyer war Marunde von 1989 bis 1994 Autor von „Der Kleine Tierfreund“ und „Die Rückkehr“. 2003 arbeitete er mit dem Hamburger Filmstudio Trikk17 zusammen, das für den NDR Filmchen in Stop-Motion-Technik nach Motiven von Marunde-Cartoons drehte.
Man darf den Landmann getrost einen Altmeister der Karikatur nennen. Schließlich ist das nicht sein erster Goldener Deutscher Karikaturenpreis. Bereits 2002 nahm er ihn von Dresden aus mit auf seinen Hof. 2015 erhielt er den Preis in Bronze, 2020 gibt es nun erneut Gold und 4000 Euro Preisgeld.
21. Deutscher Karikaturenpreis
Die Verleihung der „Geflügelten Bleistifte“ fand aufgrund der Corona-Pandemie digital statt – gestreamt wurde live aus Bremen. Am Samstagabend wurden Trophäen und die Preisgelder von insgesamt 11.000 Euro überreicht. Das diesjährige Motto lautete „Weniger ist mehr“, 262 Künstler hatten sich mit mehr als 1000 Arbeiten beteiligt. Vergeben wurde zudem ein Newcomer-Preis an Felix Gropper.
Die Jury bestand aus Axel Bierwolf (Karikaturist, Sieger 2019), Achim Frenz (Caricatura Museum), Iris Hetscher (WESER-KURIER), Olaf Kische (MDR), Heinrich Löbbers („Sächsische Zeitung“), Eva-Maria von Máriássy (Sommerpalais Greiz), Peter Ufer (Autor), Kolja Unger (Deutschlandfunk), Christine Vogt (Ludwiggalerie Oberhausen) sowie dem Kabarettisten Dietmar Wischmeyer. Der Deutscher Karikaturenpreis wird von WESER-KURIER und „Sächsischer Zeitung“ vergeben. Der Katalog ist ab Montag, 16. November, im WESER-KURIER-Shop erhältlich.