Zwei Mal war sie schon geplant, zwei Mal musste sie wegen Corona verschoben werden – am Sonnabend konnte die "Beethoven-Expedition" endlich stattfinden. Und das mit einem enormen Publikumszuspruch. Wer um kurz vor 19 Uhr am Übersee-Museum vorbeikommt, kann eine Einlassschlange sehen, die sich fast bis zum Bahnhof ausdehnt. Doch was erwartet die Besucherinnen und Besucher? Kurz gesagt: klassische Musik und Polarforschung, inmitten der Ausstellungen des Museums. Der Hintergedanke: Die Menschen für die Folgen des Klimawandels sensibilisieren.
Zusammengetan haben sich dafür die Bremer Philharmoniker, die sich in der bundesweiten Initiative "Orchester des Wandels" engagieren, bei der es darum geht, wie auch Musikerinnen und Musiker sich für mehr Klimaschutz engagieren können (wir berichteten). Das Alfred-Wegener-Institut und seine rührige Direktor Antje Boetius sind ebenfalls mit im Boot und natürlich das Übersee-Museum als Gastgeber des Abends. Der bietet eine sehr gelungene Mischung aus Unterhaltung und Musikgenuss, aus Informationen und persönlichen Eindrücken von Teilnehmern der "Mosaic"-Expedition.
Dabei habe die Veranstaltung sogar erneut auf der Kippe gestanden, erzählt die Initiatorin Rose Eickelberg, stellvertretende Solo-Paukerin der Philharmoniker. Zwei Wissenschaftler hätten am Freitag kurzfristig absagen müssen, weil sie positiv auf Corona getestet worden seien – umso mehr dankt sie dem Ozeanografen Benjamin Rabe und dem Meereisphysiker Martin Schiller, die eingesprungen sind.
Angelegt ist der Abend schön doppeldeutig als "Wandel-Konzert". Zehn Stationen verteilen sich über drei Etagen des Museums, an jeder stehen entweder ein Kammerensemble des Orchesters oder ein Awi-Wissenschaftler im Mittelpunkt. Wer das Museum um kurz nach 19 Uhr betritt, den begrüßt vor dem Korallenriff der Ozeanien-Abteilung das Fidis-Quartett, das Auszüge aus Beethovens Quartett op. 18 spielt. Da das Museum kein abgeschlossener Konzertsaal ist, bekommt man auch immer wieder leicht kakophonisch anmutende Eindrücke von den anderen musikalischen Programmpunkten mit, die aus allen Ecken und Etagen herüberwehen. Nach 20 Minuten dann Applaus - und schnell weiter zu einer der anderen Stationen.
Inmitten der Pagodenlandschaft der Asienabteilung, neben der Vitrine mit den Gebetsmühlen, hat sich Benjamin Rabe postiert und berichtete außer von wissenschaftlichen Ergebnissen der Reise auch von Begegnungen mit Polarfüchsen, die gerne mal Leitungen durchnagen. Oder davon, wie er ins Staunen geriet, als er eine Robbe sah, die unter der Eisschicht schwamm. Mittlerweile ist allen klar: Wenn man sich nicht beeilt, zur nächsten Station zu kommen, muss man eventuell stehen.
Im zweiten Stock schließen sich die Türen zum Kabinett, bevor alle, die möchten, Einlass gefunden haben – hier spricht Antje Boetius, die inzwischen so etwas wie der Rockstar unter den deutschen Polarforschern ist, auch, weil sie Laien schwierigste Forschungsergebnisse ganz nahe bringen kann. Wer in dieser Zeitschiene nicht mehr in den Raum hineinkommt, kann derweil ein bisschen Beethoven entdecken. Interessiert beäugt auch von Bison, Lama und Ozelot der Amerika-Abteilung, spielt das Trio Fatale Auszüge aus Beethovens Streichtrio 9.1 – frisch, schwungvoll, kühn. Die 20 Minuten sind viel zu schnell vorbei. Im ersten Stock erzählt derweil Martin Schiller sehr launig von persönlichen Eindrücken an Bord der "Polarstern", von der Polarnacht, in der das Schiff in Schräglage geriet, von einer Eisbärenwache bis -25 Grad oder der Heimreise auf einem russischen Eisbrecher. Ob er noch mal mitfahren würde, fragt ein älterer Herr. "Auf jeden Fall", sagt Martin Schiller.
Beim Finale im Lichthof wird zunächst eine Minute in (weitgehender) Dunkelheit geschwiegen, um den "Earth Day" zu würdigen. Marko Letonja, Generalmusikdirektor der Philharmoniker, kündigt dann an, das Orchester werde sich quasi großflächig dem Klimaschutz widmen und seine nächste Spielzeit thematisch unter das Thema "Erde" stellen. Zum Abschluss gibt es den ersten Satz der "Eroica", und Antje Boetius sagt: "Ich liebe es, begleitet von Musik über Polarforschung zu sprechen". Das Zuhören hat auch sehr viel Spaß gemacht.