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Opernpremiere "Poppea" Wo sich Amor in Bremen den Strick nimmt

Monteverdis Oper "Die Krönung der Poppea" kommt am Theater Bremen eher träge daher – trotz guter Sänger. Unser Kritiker Sebastian Loskant erläutert, woran es hapert.
19.06.2023, 16:20 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Glaubt man den römischen Geschichtsschreibern, dann war Poppea, die zweite Frau des damals schon recht paranoiden Kaisers Nero, bildhübsch und von vornehmer Blässe. Sie galt als wortgewandt und gebildet, aber auch als verschwenderisch (sie badete in Eselsstutenmilch), intrigant und sexsüchtig. Regisseurin Tatjana Gürbaca fackelt da nicht lange und zeichnet sie in ihrer Inszenierung von Claudio Monteverdis "L'incoronazione di Poppea" (Die Krönung der Poppea) als Vamp und Teufelsweib. Was dann doch recht plakativ wirkt. Wie die ganze Aufführung am Theater Bremen, die über knapp drei Stunden gedanklich, darstellerisch und musikalisch träge dahinfließt.

Was ist zu sehen? Bühnenbildner Klaus Grünberg hat eine schräge Spielfläche gebaut – Ausstattung und Akteure könnten jederzeit ins Parkett rutschen, eine interessante Optik. Weniger reizvoll ist die Einrichtung: zwei Clubsessel, ein Flügel, darüber eine große runde Lampe, hinten ein Palmengarten samt Lampen-Mond. Ein x-beliebiges Kasino. Das winzige Musikensemble der Bremer Philharmoniker ist an die Seite gequetscht, zwei links samt Dirigent mit Hut, sechs hinten rechts.

In diesem Ambiente tummelt sich eine mondäne Gesellschaft, deren Kleidung wild zwischen weißer Tunika (dem römischen Herren-Kurzgewand), engem Großmutter-Rock sowie 20er- und 60er-Jahre-Chic wechselt. Manchmal am selben Körper, egal ob Mann oder Frau: Wo Nero von einer Frau, Poppeas Amme von einem Mann und Poppeas Ex-Lover Ottone von einem Countertenor gesungen wird, greift die Regisseurin gleich voll ins queere Leben.

Kostümbildnerin Silke Willrett darf eine Typenparade ausstaffieren, ohne dass der Handlung damit auf die Sprünge geholfen wäre. Poppeas Amme Arnalta erscheint in Schwesterntracht mit Kappe und Hutnadel, Ottavias Amme wie ein Shakespeare-Page, Neros erste Gattin Ottavio in violettem Pelz und schwarzen Lackstiefeln. Nero, der Gesangsstar, gibt im Abendanzug Autogramme. Poppea, hingeräkelt auf dem Flügel, erscheint unter roter Lockenmähne leicht geschürzt mal im Glitzerjäckchen, mal im Netztrikot. Lulu? Oder doch Salome? Der abgehauene Gummikopf in ihrer Hand gehört zum Philosophen Seneca und sieht diesem kein bisschen ähnlich. Gäbe es eine Grabbelkiste für Inszenierungen, dieser Monteverdi müsste daraus stammen.

Was geht ab? Durch diese ungeheuer verruchte Upperclass schleicht Liebesgott Amor als Pantomime im Feinripp-Unterhemd. Wie ein Kleinganove und Latinlover aus der römischen Vorstadt lenkt Schauspieler Gaizko Chamizo das Geschehen, passt sich jeder Situation an. Sein jede Emotion verstärkendes Gehabe nervt allerdings bald.

Hingegen war es ein hübscher Einfall, den Moralprediger Seneca als arbeitsscheuen Hippie – barfuß, mit Zottelmähne und runder Brille – vorzuführen, der auch mal aus der Rolle fällt und Amor unters Cembalo kickt. Insgesamt jedoch wirkt die Personenführung viel zu statuarisch. Wer die intrigenreiche Handlung in den Übertiteln mitverfolgt, kann nur staunen, welche Feinheiten der Personencharakterisierung hier verschenkt werden. Dass Regisseurin Tatjana Gübraca etliche Texte sprechen und Seneca am Klavier singen lässt, hilft dem Mangel nicht ab.

Ja, zum berühmten Schlussduett von Nero und Poppea am Ende fällt ihr nichts Besseres ein, als das gesamte Personal drumherum sterben zu lassen. Weil die da oben doch für Liebe und Macht über Leichen gehen. Also sind nach dem historisch und vom Libretto verbürgten Tod Senecas (in einer winzigen Blechwanne) nun der Reihe nach alle anderen dran. Ottavia erschießt sich, Ottone wird mit Poppeas Nylonstrumpf erwürgt, seine neue Flamme Drusilla futtert die Giftpralinen-Schachtel leer, auch beide Wachen und beide Ammen (Tod durch Hutnadel!) gehen hopps. Während sich die Toten in Unterwäsche an der Rampe mit Blut beschmieren und der schönsten Nummer der Oper den Garaus machen, nimmt sich Amor den Strick. Man kann ihn verstehen. 

Was macht die Musik? Claudio Monteverdis Partitur von 1643 ist quasi eine stenografische Notation und bedarf der bereichernden Bearbeitung. Dass Dirigent Christoph Spering sie in Reinform mit Mini-Besetzung und rhythmisch eher weich musizieren lässt, tut dem Abend nicht gut. Ewige Rezitative, von gedankenschweren Pausen durchsetzt, werden meist nur von Cembalo und Theorbe begleitet, das Stereo-Ping-Pong quer über die Bühne verhindert den Eindruck der Eintönigkeit nicht. "Immer dieselbe Leier": Bei einem Schlaflied, bei Senecas Tod, ja selbst beim Liebesduett mag die Reduktion ins Intime noch angehen, wenn's dramatisch wird, reicht das nicht. Und bei den komischen Auftritten der Amme Arnalta geht der Witz musikalisch flöten. Den vermittelt allein Christian-Andreas Engelhardt, ein vorzüglicher Komiker.

Wie schlagen sich die Sänger? Die Solisten kommen mit Monteverdis Stil bestens klar, ebenso der zwölfköpfige Chor von Alice Meregaglia. Zwar hat Bassist Christoph Heinrich, ein guter Darsteller, als Seneca deutliche Intonationsprobleme, ansonsten überzeugt das Ensemble. Sopranistin Marie Smolka schießt als Poppea giftige Koloraturen ab. Ulrike Mayer weckt mit warmem Mezzo Sympathien für den verkorksten Nero. Constanze Jader als Noch-Kaiserin Ottavia setzt ihren Sopran auch in der tiefen Lage dramatisch ein, Elisa Birkenheier als Drusilla singt ein keckes Blondchen. In kleineren Rollen überzeugen Matteo Cammarata, Ian Spinetti und Daniel Ratchev. Den meisten Applaus aber erhält Gast-Countertenor Dmitry Egorov. So sehr sein Ottone als Verlierer gezeichnet ist, so balsamisch, mit wunderbarem Legato, macht er sich Luft. Hier verspürt man ein klangliches Schwelgen, das dem Abend sonst so schmerzlich fehlt.

Info

"Die Krönung der Poppea" ist wieder am 20., 25. und 30. Juni sowie am 2., 6. und 8. Juli zusehen. Beginn ist um 19.30 Uhr, sonntags um 18 Uhr.

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