Herr Klingele, Sie sind sehr kurzfristig ans Theater Bremen berufen worden. Ist das der Grund, warum Sie mit "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss, die am 29. Januar Premiere hat, nur eine Oper in dieser Spielzeit dirigieren?
Stefan Klingele: Ja, eigentlich sollte ich erst ein Jahr später kommen, und die laufende Spielzeit war schon aufgeteilt. Andererseits war es sinnvoll, nach dem Weggang von Yoel Gamzou möglichst schnell mit Dramaturgin Brigitte Heusinger und dem neuen Hausregisseur Frank Hilbrich, den Leitern des Musiktheaters, durchzustarten. Es gibt viele Dinge, die ich anpacken möchte. Da wollte ich nicht ein Jahr lang aus der Ferne zuschauen. Ich habe mich über die Anfrage von Intendant Michael Börgerding wahnsinnig gefreut. Wenn ich im Graben stehe, fühle ich mich schon wieder ganz zu Hause.
Sie spielen darauf an, dass Sie Bremen bestens kennen, weil sie von 1999 bis 2007 die Ära von Intendant Klaus Pierwoß begleitet haben. Wie denken Sie an diese Zeit zurück?
Ohne pathetisch zu werden: Die acht Jahre haben Spuren in meinem Leben hinterlassen, bis hin zu guten Freundschaften. Zwei Drittel der Menschen im Haus kenne ich noch. In guter Erinnerung sind mir auch Produktionen wie "Die Macht des Schicksals", "Pelléas und Mélisande" oder "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" sowie einige Uraufführungen. Das Repertoire war schön, es gab immer genug für alle Dirigenten.
Damals wurden Sie zuletzt schon einmal Opernchef...
Ich war Erster Kapellmeister, aber die letzten zwei Jahre kam uns ein Generalmusikdirektor abhanden. Die Spielzeit 2006/2007, in der wir "Opernhaus des Jahres" wurden, war die einzige, in der ich offiziell Chefdirigent war – das hat mich sehr gefreut. Als letzte Premiere dirigierte ich 2007 "Tristan und Isolde", die Inszenierung von Reinhild Hoffmann mit dem zentralen Eisblock. Mit dem Intendantenwechsel war dann klar, dass ich wie so viele nicht bleiben würde. Es war ein heftiger Umbruch damals, aber alle haben sich bis zum Schluss mit vollem Einsatz reingehängt – eine tolle Zeit.
Danach waren Sie sieben Jahre freischaffend tätig. Fiel die Umstellung schwer?
Es ging nicht nahtlos weiter, aber wie durch ein Wunder hatte ich immer sehr viel zu tun, wurde häufig nach Hannover, Stockholm und Dresden eingeladen. Mit einer Chefstelle klappte es erst 2015 in Leipzig, aber das landläufige Bild vom Chefdirigenten ist ohnehin nicht meins. Es soll ja nicht fürs eigene Ego sein. Wenn man das Gefühl hat, man könnte für eine Institution etwas leisten, und macht es gern, soll man zugreifen. Als Gast kann man sich auf andere Art beweisen, indem man möglichst schnell mit neuen Leuten reibungslos ein gutes Ergebnis schafft. Ich weiß nicht, was schöner ist; mir macht beides Spaß.
In Leipzig waren Sie ab 2015 für die leichte Muse zuständig. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Die Musikalische Komödie ist ein Unterhaltungshaus auf höchstem Niveau. Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt. Als Dirigent bin ich dieser Kapellmeistertyp, der vielseitig arbeiten möchte. In Leipzig haben wir mit den 15 Musicaltänzern erfolgreich eine neue Sparte Handlungsballett eröffnet, haben völlig vergessene Operetten von Dostal oder Korngold mit jungen Dirigenten einstudiert und manches auf CD eingespielt. Spannend war auch die Neuerstellung von Notenmaterial und Aufführung von Lortzings Spieloper "Casanova". Nach einer Weile tut zwar jedem Haus ein Wechsel gut, aber ich bin nicht von dort "geflohen".
Sie haben sich als "Kapellmeistertyp" bezeichnet. Können Sie das erläutern?
Ich empfinde mich im Theater als wichtigen Teil des großen Ganzen. Das Schönste ist, wenn am Ende alles sinnvoll ineinandergreift. Es geht nicht um Starkult: Wenn ich mit dem Regisseur eine Idee entwickle, wie ein Stück heute aussehen kann, und das gelingt, freue ich mich schon sehr. Aber ich trage das nicht vor mir her. Ein Sänger, der virtuos singt, ist ebenso bewundernswert. Wenn jeder sein Bestes gibt, spürt das auch das Publikum. Dafür lebe ich: Dass das, was wir machen, Relevanz für die Besucher hat. Dass Menschen, die womöglich völlig unvorbereitet ins Theater kommen, einen großartigen Eindruck mit heimnehmen.
Man hört Ihnen den süddeutschen Akzent an. Wie verwurzelt sind Sie noch in Ihrem Geburtsort Ingolstadt?
Meine Eltern sind zwar in Ingolstadt aufgewachsen, aber ich bin in München großgeworden und fühle mich als Münchner. Meine Mutter, meine Frau und unsere volljährigen Kinder leben dort. Bevor jetzt aber jemand glaubt, ich sei zu selten in Bremen: Ich habe ein Häuschen in Sebaldsbrück gefunden.
Sie treten "nur" als Musikdirektor der Oper an. Ein Problem für Sie?
Die Teilung in Opern- und Konzertdirigat hat sich ja nach dem Weggang von Markus Poschner 2017 ergeben. Mit dem Theater bin ich im Moment mächtig ausgelastet, weshalb ich ganz froh bin, dass Marko Letonja der Generalmusikdirektor der Philharmoniker ist.
Zur "Ariadne auf Naxos" am Sonntag: Können Sie die Zuschauer ein bisschen neugierig machen?
Man wird auf der Bühne Dinge erleben, die man so noch nicht gesehen hat. Regisseur Frank Hilbrich und Bühnenbildner Sebastian Hannak erzählen das kleinteilige Durcheinander im Vorspiel, wo sich zwei Theatertruppen für eine gemeinsame Opernaufführung zusammenraufen müssen, nicht einfach nach. Sondern sie zeigen einen Komponisten, der aus einer einsamen Situation heraus fantasierende Angst- und Glücksmomente erlebt, die sich rund um das Theaterleben entwickeln. Auch später spielt das Regieteam immer wieder mit den Wirklichkeitsebenen. Meiner Meinung nach ganz im Sinn von Richard Strauss, der uns Hörern gern deutlich macht, dass wir im Theater gelegentlich auch raffiniert manipuliert und hinterfragt werden.
Das Gespräch führte Sebastian Loskant.