Das ist echte Tiefstapelei: Als "kleine Fassung einer großen Oper" hat das Theater Bremen die neue Inszenierung der "Zauberflöte" von Wolfgang Amadeus Mozart angekündigt. Und dann das. Die Version, die Regisseur Michael Talke und der scheidende Kapellmeister Killian Farrell auf die Bühne des großen Hauses gebracht haben, entzückt mit Leichtigkeit und fasziniert gleichzeitig durch eine hellsichtige Interpretation der Geschichte um das Liebespaar Tamino und Pamina, die mehr erklärt als viele Langfassungen zuvor.
Was also haben Talke und Farrell gemacht? Klar, sie haben gekürzt. Etwas mehr als zwei Stunden wird nonstop gesungen und gespielt statt ansonsten mindestens drei. Sie haben die Figur des Papageno verdoppelt: Martin Baum sorgt (vor allem) dafür, dass das Publikum die Geschichte versteht. Gast-Bariton Dominic Große im ulkigen Vogelkostüm ist sein singendes Alter Ego. Und ein bisschen, nun ja, naiver, ist seine Figur auch angelegt.
Farrell dirigiert eine Kammerbesetzung mit zwölf Bremer Philharmonikern, was man bald vergisst. Ist die fehlende Ouvertüre noch ungewohnt – stattdessen gibt es die Variation Ludwig van Beethovens über "Ein Mädchen oder Weibchen" – erscheint die schlanke Fassung bald logisch, denn sie ist stringent arrangiert und wird präzise wie flott gespielt. Eingeflochten hat Farrell zudem musikalische Zitate anderer Mozart-Werke.
Talke dagegen hat die durchaus wirre, anspielungsreiche Geschichte auf die Füße gestellt. Prinz Tamino wird von der Königin der Nacht ausgesandt, um ihre Tochter Pamina aus den Fängen Sarastros zu retten. Als Gefährte wird ihm der Vogelfänger Papageno mitgegeben. Außerdem eine Zauberflöte und ein magisches Glockenspiel, damit nichts schiefgehen kann. Sarastro, der eine Art Orden der Weisheit vorsteht, will Pamina nicht gehen lassen und hält deren Mutter für böse. Doch Pamina, Tamino und Papageno wollen sich ihre Zukunft nicht von den Altvorderen und ihren verschrobenen Ideen diktieren lassen.
Das erzählt Talke wie einen Comic, mit viel Tempo und Ironie auf allen Ebenen. Ein Mann für eindrucksvolle Bilder ist er sowieso. Und so huschen immer wieder jüngere Versionen von Tamino und Pamina über die Bühne, die den Prozess des Erwachsenwerdens und Abnabelns symbolisieren, merkwürdige Fantasietiere und ulkige wandernde Augen sind auch dabei. Martin Baum als Papageno synchronisiert alle Sprechpartien und auch viele Bewegungen ("Schritt, Schritt, flatter, flatter"). Barbara Steiner (Bühne) lässt zunächst einen großen Raben alles dominieren, in Sarastros Reich dominiert Schwarz-Weiß, wenn nicht Prospekte vom Schnürboden herunterschweben, die ein Gehirn oder ein Lippenpaar zeigen.
Außer dieser visuellen Üppigkeit ist es wieder einmal eine Freude, das durchgehend brillant aufgestellte und spielfreudige Musiktheaterensemble und den Chor zu erleben. Hervorzuheben sind Nerita Pokvytyté als sinistre Königin der Nacht mit famosen Koloraturen sowie ihre drei ersten Damen (Ulrike Mayer, Nathalie Mittelbach, Rebecca Davis), von Talke in einem Kabinettstückchen im ersten Teil inszeniert wie die Hexen bei Macbeth. Marysol Schalit natürlich als facettenreiche, blühende Pamina und der Gast Dominic Große als Papageno mit viel Spaß am Chargieren und einem trittsicheren Bariton. Martin Baum nicht zu vergessen, der ab und an auch singt und die "Pa-, Pa-, Pa-Papageno/Papagena- Arie" sehr charmant mit María Martín Gonzáles interpretiert. Fazit: Kleine Fassung, großartiges Ergebnis.