Nicht alle Arbeiten kamen im Rahmen der Sozialen Künstlerförderungen zwischen den 80er- und den frühen 2000er-Jahren in die Bremer Kunstsammlung. Diverse Werke fanden schon früher ihren Weg in die Städtische Galerie. So auch die Arbeit, die wir heute vorstellen.
Was zeigt das Bild?
Mit wenigen Mitteln und ganz reduziert gelingt es dem Werk, eine intensive Szene darzustellen. Im Vordergrund: die namensgebende Netzflickerin bei der Arbeit, umgeben von großen Netzen. Im Hintergrund sieht man – zumindest angedeutet – den Hafen, Schiffe und eine Kaimauer. Die Druckgrafik verbindet das Maritime und Handwerkliche mit dem Künstlerischen, verstärkt wird dies durch ein fehl am Platz wirkendes Stillleben im vorderen Bereich der Arbeit. Angela Tietze von der Städtischen Galerie erinnert dies an die Arachne-Sage aus der griechischen Mythologie, in der die hochmütige Weberin Arachne die Göttin Athene (unter anderem Göttin der Kunst und des Handwerks) zu einem Webkunst-Wettstreit herausfordert und gewinnt. Eine genaue Jahreszahl, wann die Künstlerin das Bild geschaffen hat, gibt es nicht. Entstanden sein müsste es laut den Experten wahrscheinlich in den frühen 1950er-Jahren.
Was ist das Besondere an diesem Bild?
Das Bild, betonten Ingmar Lähnemann und Angela Tietze von der Städtischen Galerie, stelle sie vor Herausforderungen. Und die fangen schon damit an, herauszufinden, wann und wie die Arbeit in die Sammlung gekommen ist. Sie hat – wie viele andere Arbeiten – die Inventarnummer 0, und das war’s. Eine weitere Herausforderung ist, dass das Bild an den Rändern durch seine Rahmung im Laufe der Jahre einige Schäden erlitten hat. Grundsätzlich stellen Grafiken die Galerie vor Lagerungsfragen: Gerahmte Bilder können sicherer gelagert werden, bräuchten bestenfalls aber ordentliche Passepartouts. Dafür wiederum müsste die Galerie zusätzliche Mittel akquirieren.
Wer war die Künstlerin?
Gustava Tölken (voller Name: Therese Marie Gustava Tölken) lebte von 1891 bis 1983 und war, wie Ingmar Lähnemann betont, eine "ganz, ganz spannende Künstlerin", die es verdient hätte, dass man sie sich kunsthistorisch hier in Bremen noch einmal genauer ansieht. In der Sammlung sind 18 Werke von ihr verzeichnet. "Die Netzflickerin" ist bisher die einzige in der Inventur erfasste Arbeit Tölkens. Wo die anderen 17 Arbeiten sind, gilt es noch herauszufinden. Tölken kam aus einem gutbürgerlichen Haus in Bremen, Kunst spielte auch bei anderen Familienmitgliedern eine Rolle. Ihre Mutter zeichnete, und auch einer ihrer Brüder ist in der Kunstwelt kein Unbekannter: August Tölken wurde in Bremen als Bildhauer bekannt.
Warum ist Gustava Tölken besonders?
"Sie kam aus einer Generation, in der Frauen erstmals die Chance hatten, wirklich Kunst zu studieren und ihren Weg zu suchen", sagt Lähnemann. Laut dem Bremer Frauenmuseum wurde sie in Paris im Atelier des Malers Lovis Corinth ausgebildet. In den 1920/30er-Jahren lebte Tölken in Berlin, ihr Stil war spätexpressionistisch, so Lähnemann, auch den Einfluss des Berliner Realismus sieht man ihren Arbeiten an. Aus heutiger Sicht sei sie als Grafikerin aber noch interessanter denn als Malerin, findet der Galerieleiter. Viele von Tölkens Werken sind der Kunstwelt verloren gegangen: "Ihr Atelier in Berlin wurde von einer Brandbombe getroffen", so Lähnemann. Nach dem Krieg sei Tölken nach Bremen zurückgekommen und musste ganz neu anfangen. Sie hatte nie den großen Erfolg, war aber in den 50er-Jahren mit mehreren Werken in zwei Ausstellungen in der Kunsthalle vertreten. Sie ist viel gereist und dabei entstanden Zirkus- oder auch Alltagsszenen, sprich: vereinfachte Darstellungen "der Menschen und Gegenstände in einem besonderen Milieu", wie es das Frauenmuseum zusammenfasst. Drei Grafiken Tölkens befinden sich in der Grafothek der Zentralbibliothek am Wall; eine davon ist aktuell entliehen, die zwei anderen sind ausleihbar.