"Jetzt ist das Mädchen wieder in Bremen", sagte Rudi Ekkart und lächelte zum Schluss seines kurzen Vortrags in der Kunsthalle. Damit meinte der Professor, Vorsitzender des Beirats für Provenienzforschung beim Rijksdienst für kulturelles Erbgut im niederländischen Amersfort, ein Gemälde, das seit 1967 in dem Museum hängt. Seine Herkunft war seit 2010 Gegenstand einer aufwendigen Recherche: "Im Gras liegendes Mädchen (Le Repos)" von Camille Pissarro, entstanden 1882 und Teil der Impressionisten-Sammlung der Kunsthalle. Von November 2024 bis vor Kurzem war es ans Van-Gogh-Museum in Amsterdam ausgeliehen – das war eine der Bedingungen, damit das Bild dauerhaft in Bremen bleiben kann.
Doch von vorne: Denn das "Mädchen" hat eine so wechselvolle wie traurige Geschichte. Es gehörte einst der jüdischen Textilindustriellen-Familie Van den Bergh im niederländischen Örtchen Oss. Das Ehepaar Ellen und Jaap Van den Bergh war gezwungen, das Ölgemälde 1942 während der nationalsozialistischen Besatzung der Niederlande zu verkaufen, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren und ihre Töchter Rosemarie und Marianne in einem Kinderheim unterzubringen. So sollten die beiden vor der Deportation geschützt werden. Für 23.000 Gulden erstand der Spediteur Dirk Lijnzaad das Gemälde; kurze Zeit später verkaufte er es an den deutschen Sammler und Geschäftsmann Max Hugo Oelze weiter – zu einem unbekannten Preis. Oelze war einer der Experten, die die Nazis angeheuert hatten, um Kunst für das geplante und nie realisierte "Führermuseum" im österreichischen Linz zusammenzutragen, wie die Provenienzforscherin der Kunsthalle, Brigitte Reuter, erläuterte.
Den Pissarro habe Oelze, der auch nach Kriegsende in Amsterdam blieb, allerdings behalten und damit eine Wand seines Hauses geschmückt. Als er 1967 starb, vermachte er das Bild der Kunsthalle seiner Heimatstadt Bremen. Die Vorgeschichte des Bildes begann man dort vor 15 Jahren aufzuarbeiten, indem man sich mit Oelzes Biografie befasste. Es sollte sechs Jahren dauern, bis das fehlende Puzzleteil zu den Van den Berghs von niederländischen Kollegen Brigitte Reuters in einem Archiv in Den Haag entdeckt wurde. Jaap Van den Bergh hatte nach dem Krieg ein Rückerstattungsformular für den Pissarro ausgefüllt, allerdings vergeblich. Der Grund: Oelze hatte einen Wohnsitz in den Niederlanden, und er hatte das Bild nie nach Deutschland ausgeführt.
Emigration in die USA
Jaap und Ellen Van den Bergh emigrierten 1946 in die USA. Ihre Töchter hatten sie nie wiedergesehen, sie wurden im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Rosemarie Van den Bergh wurde acht, Marianne Van den Bergh fünf Jahre alt. Das Ehepaar bekam eine dritte Tochter, die nun durch die Provenienzforschung als Erbin ausgemacht werden konnte, aber anonym bleiben möchte. Sie habe das Gemälde zunächst für sich beansprucht, die Kunsthalle habe aber nicht darauf verzichten wollen, erläuterte Rudi Ekkart. Der Professor hat zwischen der Kunsthalle und der Erbin vermittelt, und er konnte einen bemerkenswerten Kompromiss erzielen.
Endet die Rückgabe von Raubkunst, die Restitution, oft damit, dass die Erben der ehemaligen jüdischen Besitzer auf eine Rückgabe oder einen Verkauf der Kunstwerke drängen, lief es dieses Mal anders. Es habe zwar eine finanzielle Kompensationszahlung gegeben, über deren Höhe Stillschweigen vereinbart worden sei, heißt es vonseiten des Kunstvereins. Dazu beigetragen haben die Kulturstiftung der Länder, die Hermann-Reemtsma-Stiftung und das Geld aus dem Nachlass von Fritz Müller-Arnecke.
Doch die Erbin habe sich "großherzig" gezeigt, so Stephanie Tasch von der Kulturstiftung. Das Bild könne in der Kunsthalle Bremen bleiben, wenn ausführlich über die mit dem Gemälde verknüpfte Geschichte der Familie Van den Bergh und insbesondere das Schicksal ihrer beiden ermordeten Schwestern informiert werde. Das ist nun geschehen. Wer sich "Im Gras liegendes Mädchen" anschaut, findet daneben einen ausführlichen Wandtext. Außerdem ist mit "The Girl in the grass. The Tragic Fate of the Van den Bergh Family and the Search for a painting" ein empfehlenswertes Buch erschienen, das alle Facetten der Geschichte detailliert nachzeichnet.