Nanu, was ist das denn? Zwei längliche, geschwungene Möbel stehen mitten in dem Raum, an dessen Wänden von Paula Modersohn-Becker gemalte Porträts hängen. Zwei Mal gleißendes Blau auf gediegenem Holzfußboden, zwei Sofas, die an das futuristische Mobiliar in Science-Fiction-Filmen erinnern. Oder an dahingleitende Meerestiere. Entworfen hat die Möbel der deutsche Designer Luigi Colani (1928-2019), und ihm widmet das Paula Modersohn-Becker-Museum ab Sonntag eine Sonderausstellung.
Der Titel "Luigi Colani und der Jugendstil" verweist darauf, dass es bei der Schau nicht nur um die Präsentation seines vielseitigen Schaffens geht. Colanis Formensprache wird in einen größeren Zusammenhang gestellt und mit Einflüssen aus dem Jugendstil in Beziehung gesetzt. So ist die Ausstellung im vergangenen Jahr vom Berliner Bröhan-Museum konzipiert worden, das Paula Modersohn-Becker-Museum hat sie übernommen. Doch die Bremer gehen noch einen Schritt weiter. Nicht nur im Jugendstil gebe es Verwandtes zu entdecken, auch bei Bernhard Hoetger, dem Erbauer der Böttcherstraße, von dem das Museum einige Werke besitzt, so Direktor Frank Schmidt am Freitag beim Presserundgang.
Nur die Natur als Einfluss
Der Mensch als Teil der Natur, die zugleich das Vorbild für die Gestaltung alltäglicher Dinge sein sollte – das ist das verbindende Gestaltungsprinzip aller drei. Wobei Colani, der Bildhauerei, Aerodynamik und Philosophie studierte, nur die Natur als Einfluss gelten ließ. Fließende, amorphe Formen, keine Ecken, schon gar keine rechten Winkel. Ein Gegenentwurf zum industriell und funktional Kantigen, zum geometrisch glatt Gezogenen. Also auch zum Bauhaus, dem Inbegriff deutschen Designs im 20. Jahrhundert. Colani löckte wider den Stachel, er brachte sein Schaffen auf die griffige Formel: "90 Prozent Natur und zehn Prozent Colani – höchstens!". Neben Vasen mit floralem, verschlungenem Muster oder Garderobenschränken mit Verzierungen, die wie gebogene Zweige aussehen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, sind Colani-Stühle aus den 1970ern zu sehen. Einer wirkt wie eine riesige Schlaufe, ein anderer wurde aus einer Kugelform entwickelt. Die Verwandtschaft ist offenkundig.
Die tomatenrote "TV-Relax Liege" erinnert an eine ausgestreckte Zunge, daneben sind der multifunktionale und stapelbare Kinderstuhl "Zocker" und das daraus entwickelte Erwachsenensitzmöbel "Der Colani" zu sehen, auf dem man in unterschiedlichen Positionen Platz nehmen kann. Hinzu gesellt sich Bernhard Hoetgers 1927 entworfener Stuhl mit einem an der Rückenlehne angebrachten Tisch. Eine Art Vorläufermodell. Die Prämisse: Nicht der Mensch soll sich dem Möbel anpassen, sondern das Möbel den Formen und Bedürfnissen des Menschen.
Das kann ein ergonomisch gestalteter Sessel sein, die Teekanne, "Drop", die so designt ist, dass sie nicht tropft. Oder ein Kugelschreiber, der nicht aus der Hand rutscht. "Pool" ist eine raumgreifende Wohnlandschaft in lila-beige-orange, die mitten in einem vom Historismus geprägten Raum im Roselius-Haus aufgebaut ist. Sie besteht aus Einzelteilen, die man zu immer neuen Liegewiesen zusammenbauen kann.
So spielerisch wie dieses Mega-Sofa wirken viele der Entwürfe Colanis. Sie spiegeln damit genauso wie ihre teils grelle Farbigkeit den Zeitgeist der späten 1960er- und der 1970er-Jahre wider, dieses überbordende "Nun-ist-alles-möglich"-Gefühl einer ganzen Generation. Auch Colani verfolgte hochfliegende Pläne; viele seiner Entwürfe sind nie umgesetzt worden, was ihn zu durchaus drastischen Ausbrüchen veranlasste: "Die Branche ist doof. Die Möbelbranche ist saudumm."
Aber nicht nur die zeigte ihm immer wieder die kalte Schulter. Zu sehen sind auch Colanis selten realisierte Entwürfe für Autos, Lastwagen, Motorräder, für das riesige Passagierflugzeug "Megalodon" und den Städtebau der Zukunft. Nach seinem Studium in Paris hatte er zunächst in der Flug- und Autoindustrie gearbeitet und entwickelte beispielsweise 1970 ein Miniauto mit Elektromotor. Nachhaltigkeit, unter anderem durch Stromlinienförmigkeit und Energieeffizienz war schon damals sein Thema. Weil, um es mit Colani zu sagen: "Das sich seinem Ende nähernde Automobil frisst in greisenhafter Altersstarre unsere Städte auf".