Wegweisende Schriften haben häufig sperrige Titel, damit alle Komponenten sachlich richtig und ausgewogen berücksichtigt werden. Schon sowieso ist das der Fall bei Themen, die vermintes Gelände sind. So ist es auch beim sperrig benannten „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“, der eine Handreichung für die Praktiker in den Häusern landauf, landab sein soll. Wann sollen warum welche Exponate aus deutschen Museen an die Staaten zurückgegeben werden, aus denen sie während der Kolonialzeit beispielsweise ins Bremer Übersee-Museum gelangt sind?
Dessen Direktorin Wiebke Ahrndt leitet seit 2016 die Arbeitsgruppe des Deutschen Museumsbundes, die sich mit diesen diffizilen Fragen befasst (wir berichteten). Die erste Fassung eines Leitfadens ist nun überarbeitet worden, das Ganze ist ein Work in Progress, der Ende 2020 mit der dritten Auflage abgeschlossen sein soll. „Wir haben zunächst die Bedürfnisse der Museen formuliert und jetzt elf Experten aus den Herkunftsländern in allen Regionen der Welt dazu kritisch Stellung nehmen lassen“, erklärte Wiebke Ahrndt bei der Vorstellung der Neuauflage des Leitfadens am Montag im Übersee-Museum. 200 Seiten stark ist dieser und ab sofort online abrufbar (www.museumsbund.de/kolonialismus).
Nun gelte es, wiederum die Forderungen und Erkenntnisse dieser Fassung zu überprüfen und zu schärfen. Die Beiträge in dem Leitfaden sind dabei unter drei entscheidenden Schlagwörtern gesammelt: Provenienzforschung, Transparenz, Kooperation. Übersetzt heißt das: Die Museen forschen in ihren Beständen nach Sammlungsstücken aus kolonialen Zusammenhängen.
Vertreter der Herkunftsgesellschaften müssen Zugang zu diesen Informationen erhalten, beispielsweise durch die Digitalisierung der Bestände und die Möglichkeit, die Verschlagwortung nicht nur in Deutsch, sondern beispielsweise auch in Englisch oder Französisch abrufen zu können. Auf dieser Grundlage können Staaten oder indigene Dachverbände dann entscheiden, welche Art der Zusammenarbeit und welche Forderungen ihnen wichtig sind.
Dabei gehe es selten um das medial stark präsente Thema Rückgabe, wie Wiebke Ahrndt bereits vor einigen Wochen im Interview mit dem WESER-KURIER erläuterte – eine Ausnahme bilde dabei die Restitution menschlicher Überreste. Die Herkunftsländer wollten vor allem eingebunden werden in die Aufarbeitung, wie etwas wohin gelangt sei und wie dieses aufbewahrt werde.
Es gehe um „globales Miteinander auf Augenhöhe“, so Ahrndt, um einen Transfer von Wissen und weniger um eine klare Festlegung, was damals Recht und Unrecht gewesen sei. Dies sei häufig sowieso nicht mehr „glasklar“ nachzuvollziehen. Sie legte Wert auf die Feststellung, dass es daher keinen Sinn mache, einfach nur fix „als Selbstzweck“ Sammlungsgüter zurückzugeben und sich damit quasi auch der Verantwortung zu entledigen. „Da sind wir zu schnell mit den Antworten, das ist auch eine Form von Eurozentrismus, die nicht gut ankommt.“
Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbunds, wurde noch deutlicher: "Museumsstücke sind nicht die neuen Glasperlen der Politik, vor diesem Hintergrund dürfen nicht ganze Sammlungen zur Disposition stehen".
Wer meine, sich durch pauschale Rückgaben das Wohlwollen der Herkunftsstaaten und damit vielleicht auch wirtschaftliche Vorteile zu sichern, agiere geradezu neo-kolonial – was als kleiner Seitenhieb auf entsprechende Ankündigungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu verstehen war, der 2018 postuliert hatte, "das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein.“
Köhne formulierte klare Forderungen an die Politik, die von den Museen die Aufarbeitung der Sammlungsbestände erwarte: „Das ist eine Generationenaufgabe, dafür brauchen wir mehr Stellen“. Bei der NS-Raubkunst habe man 20 Jahre benötigt, um ein „halbwegs gängiges Verfahren zu entwickeln“.
Deutscher Museumsbund ist europaweit Vorreiter
Köhne bezifferte den Bedarf für jedes Museum auf ein zusätzliches Team von sechs bis acht Experten: „Die Provenienzforschung ist eine komplexe Aufgabe, weil da die Befindlichkeiten von mehreren Staaten berücksichtigt werden müssen“. In den vergangenen Jahren sei in den Museen der Schwerpunkt auf den Ausbau der Museumspädagogik, des Marketings und auf die Entwicklung von Sonderausstellungen gelegt worden. Die Stellen für wissenschaftliches Personal seien abgebaut worden, das räche sich nun.
Der Deutsche Museumsbund ist europaweit übrigens Vorreiter, was den umfassenden Ansatz des „Leitfadens“ angeht. In den kommenden Monaten wird es zusätzlich zur deutschen noch eine Fassung auf Englisch und Französisch geben.