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Musikfest Bremen Pablo Heras-Casado: “Ich habe mich an Bruckner herangerobbt”

Mit dem Ensemble Anima Eterna spielt der Dirigent Pablo Heras-Casado beim Musikfest Bruckners 7. Symphonie. Wie er spät zu Bruckner fand und welchen Körperteil er für den wichtigsten eines Dirigenten hält.
08.07.2022, 05:00 Uhr
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Von Kai Luehrs-Kaiser

Herr Heras-Casado, in Bremen dirigieren Sie Bruckners 7. Symphonie: waschechte Spätromantik. Auf diesem Gebiet, hätte man gedacht, haben Dirigenten der Alten Musik nun wirklich nichts zu suchen. Oder doch?

Pablo Heras-Casado: Aber sicher. Schon wegen der Instrumente. Anton Bruckner rechnete keineswegs mit den modernen Instrumenten, Stahlsaiten und Bögen, die wir heute gewohnt sind. Er komponierte für jene älteren Instrumente, die es damals gab. Also haben wir allen Grund uns zu fragen, wie das wohl klingt. In Wien haben die Streicher an der Staatsoper sogar noch nach dem Krieg auf Darmsaiten gespielt. Stahlsaiten waren in vielen Orchestern verboten.

Inwiefern klingt Ihr Bruckner anders?

Der Klang der alten Instrumente ist wärmer, sonorer und sozusagen weniger auf Angriff gepolt als bei Orchestern heute. Die Kontrapunktik der Werke kommt deutlicher heraus. Alles klingt klarer. Mit dem Orchester Anima Eterna planen wir aktuell einen Zyklus aller neun Symphonien. Erstmals auf diese Art und Weise.  Durch Schubert, Mendelssohn und Schumann habe ich mich an Bruckner erst langsam herangerobbt.

Bruckners Werke werden zumeist für schwer und voluminös gehalten. Ist das falsch?

Ja. Bruckner war kein Brucknerianer. Wir können ihn nicht für die Klischees verantwortlich machen, die sich später erst herausgebildet haben. Bruckner, das ist wahr, hat sehr räumlich komponiert. Das ist das Neue an ihm. Es bedeutet: Nicht lauter oder lastender, sondern größer und weiter müssen die Werke klingen – im Vergleich zu seinen Vorgängern. Bruckner sah immer zum Himmel auf. Seine Musik muss Luft haben. Aber nicht mehr Druck.

Bruckner war tief religiös, genauer: katholisch. Was prompt dazu geführt hat, dass man in katholischen Ländern, etwa in Italien, bis heute größte Schwierigkeiten mit ihm hat. Ist es in Spanien anders?

Nicht wirklich. Es liegt, glaube ich, daran, dass Bruckners Werke zu wenig auf Effekt berechnet sind. Bei uns liebt man es mehr extrovertiert, expressiv und im Grunde barock. Das ist nicht Bruckners Ding. Sein Glaubensbekenntnis, auch musikalisch gesehen, ist viel innerlicher. Er hat dadurch den Protestantismus sozusagen gleich mit drin…

Sie selber sind spät zu Bruckner gekommen. Warum?

Es war mir irgendwie unverständlich, ähnlich wie Wagner und auch Sibelius. Und das, obwohl ich seit jungen Jahren viel Chormusik von Bruckner gesungen habe. Es muss die scheinbare Gewalt seiner Formen gewesen sein, die schieren Dimensionen. Bruckner war mir zu groß. Jetzt arbeite ich indes 27 Jahre in diesem Beruf. Ich bin reingewachsen.

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Sie sind eine Art "Spezialist für alles" und lassen zwischen Renaissance und Gegenwart fast nichts aus. Was würden Sie trotzdem nie dirigieren?

Ich würde keinen Händel machen, denn da gibt es bessere Spezialisten. Auch Rossini habe ich noch nie dirigiert – und wenig Puccini.

Das Ensemble Anima Eterna, mit dem Sie in Bremen auftreten, "gehört" eigentlich dem Dirigenten Jos van Immerseel. Will er sich zurückziehen?

Jos van Immerseel tut – klugerweise – etwas, das bei anderen Alte Musik-Ensembles oft versäumt wird: frühzeitig für mögliche Nachfolger sorgen. Ich sage: mögliche!, denn es wird dort eine Art Team fester Gastdirigenten gebildet, wozu etwa auch Giovanni Antonini gehört. Wir planen für die nächsten zehn Jahre.

Sie dirigieren sämtliche ersten Orchester dieser Welt einschließlich der Berliner und der Wiener Philharmoniker. Nur ein eigenes Orchester haben Sie nicht!?

Es läge durchaus im Rahmen meiner Wünsche. Aber es hat bisher nie gepasst. Ich habe mir als Gastdirigent die Flexibilität und das Know-how drauf geschafft, von dem ich glaube, dass man es braucht. Auf die Dauer, das muss ich zugeben, ist ein solches Leben aber anstrengend und sehr ermüdend. Ich reise infolgedessen niemals nur so zum Spaß, auch nicht im Urlaub. Es würde mir keine Freude machen.

Wo verbringen Sie dann Ihre Ferien?

Mein Traum ist es jedes Jahr, nach Granada zurückzukehren, wo wir Strand und Berge und überhaupt alles haben, was man braucht. Verreisen möchte lediglich mein Sohn. Er ist sechs Jahre alt, ich lasse ihn zu meinen Gastspielen oft mitkommen. Seit zwei Jahren erst besitze ich einen Führerschein. Also wird es darauf hinauslaufen, dass wir in Andalusien herumfahren – und es uns gut gehen lassen.

Sie sind verheiratet mit der spanischen Fernsehmoderatorin Anne Igartiburu. Haben Sie etwas von ihr gelernt?

Den Umgang mit Rampenlicht. Und auch den Umgang mit der Presse. Wir Dirigenten sind für die Musik da, habe ich immer gedacht. Mehr sogar als für das Publikum. Genau das ist ein Irrtum. Ich habe, wenn ich dirigiere, eigentlich keine Ahnung, was ich da mache. Ästhetisch, also von den Bewegungen her, ist mir alles egal. Ich dirigiere auch nicht anders, wenn zum Beispiel eine Kamera das Konzert filmt. Dennoch ist es wichtig, die eigene Performance in den Blick zu nehmen. Wir Dirigenten sind Performer, ob wir es nun wollen oder nicht.

Was ist der wichtigste Körperteil des Dirigenten?

Die Augen und das Gesicht. Ich könnte mir nicht vorstellen, so wie Herbert von Karajan das tat, mit geschlossenen Augen zu dirigieren. Gerade die besten Orchester, die keine großen Gesten brauchen, sind auf den Blickkontakt stark angewiesen. Und können aus kleinsten Nuancen und Details sehr viel machen. Das ist das Aufregendste bei einem Konzert: wie man durch Reaktionen des Orchesters überrascht wird.

Ihre Augen sind für das Publikum aber nicht sichtbar. Welches ist für das Publikum Ihr wichtigster Körperteil?

Der Rücken. Ich trage deswegen zum Beispiel keinen Frack, denn er fühlt sich für mich altmodisch und auf die Dauer langweilig an. Fräcke, denke ich, sind ratsam nur für übergewichtige Dirigenten. Ich glaube durchaus, dass wir Dirigenten so alltäglich wie möglich auftreten sollten. Die Feierlichkeit kommt, schon aufgrund der Musik, ganz von selbst.

Das Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser.

Zur Person

Pablo Heras-Casado

geboren 1977 in Granada, ist der bedeutendste spanische Dirigent der Gegenwart. Er studierte zunächst Kunstgeschichte und Schauspiel, gründete aber während des Studiums Musikensembles und Chöre.

Info

Musikfest Bremen. 20. August bis 10. September. Pablo Heras-Casado ist am Donnerstag, 25. August, 20 Uhr, mit dem Ensemble Anima Eterna in der Glocke zu erleben. Karten bei Nordwest-Ticket, unter anderem im Pressehaus an der Martinistraße und allen regionalen Zeitungshäusern.

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