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Musikfest Bremen Jonathan Tetelman: "Gesanglich ist das ein Action-Film"

Tenor Jonathan Tetelman spricht über die Herausforderungen, die Puccini-Rollen mit sich bringen. Er spricht auch über seine Karriere und warum er Fotoshootings nicht leiden kann.
26.07.2024, 05:00 Uhr
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Von Kai Luehrs-Kaiser

Herrn Tetelman, in Bremen singen Sie Ihr neues Puccini-Album, mit den Bremer Philharmonikern unter Marko Letonja. Macht das Orchester für Sie überhaupt einen Unterschied?

Jonathan Tetelman: Einen Großen sogar. Übrigens müssen sich alle Tenöre nach der Decke strecken. Nur bei Luciano Pavarotti kann man sagen: Wenn er mit weniger berühmten Orchestern auftrat, lag das daran, dass er die meiste Gage für sich behielt.

Können Sie, wenn Sie richtig aufdrehen, das Orchester überhaupt noch hören?

Bei Puccini schon. Sein Orchester ist so groß besetzt, dass man froh sein kann, wenn man selber überhaupt rüber kommt. Aber es gibt andere Komponisten, zum Beispiel Verdi, bei denen man, wenn man so richtig loslegt, tatsächlich nichts anderes hört als sich selbst.

”Puccini kann eine Stimme ruinieren”, hat Maria Callas gesagt. Gilt das nur für Soprane oder auch für Tenöre?

Ich nenne keine Namen, aber mit Puccini haben sich schon etliche Tenöre verschlissen. Er ist gefährlich. Das gilt vor allem dann, wenn man keine perfekte Gesangstechnik hat. Noch gefährlicher ist, wenn man immer dasselbe singt. Das ist innerhalb des Betriebs leider nur schwer vermeidbar. Wenn man einmal in einem Fach Erfolg gehabt hat, kriegt man Angebote nur noch dafür. Das ist dann noch riskanterals es die Werke von Puccini selber sind.

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Welche Puccini-Rollen, die Sie bei ihrem Recital singen, wollen Sie niemals auf der Bühne verkörpern?

Mein Ziel ist es, alle zu realisieren. Bei Rodolfo, Pinkerton, Cavaradossi und dem “Tabarro” ist mir das schon gelungen. Demnächst folgt mit „Le Villi“ ein früher Puccini. Am schlimmsten, glaube ich, ist Des Grieux in „Manon Lescaut“. Franco Corelli, einer der größten Tenöre des 20. Jahrhunderts, hat die Rolle gemieden. Auch Rodolfo ist nicht ohne. Gesanglich ist das ein Action-Film, sehr aufreibend. Die Rolle sitzt unangenehm hoch. Caruso wurde nach einer Aufführung ohnmächtig. Das möchte ich nicht erleben.

Überall liest man, Sie seien ein Spinto-Tenor. Was ist das eigentlich?

Spinto-Tenöre sind Sänger mit großer Schallkraft und einem gewissen Trompeten-Ton. Sie kommen immer durch. Ich nicht. Ich bin ein lyrischer Tenor mit ein Paar Kraftreserven. Was immer so gesagt wird, stimmt gar nicht.

Vor zwei Jahren wurden Sie mit dem “Oper! Award” als Nachwuchssänger des Jahres ausgezeichnet. Heute sind Sie schon ganz oben. Ihr Leben muss sich total verändert haben.

Das kann man wohl sagen. Dagegen hilft nur eines: Sich immer wie ein Newcomer fühlen. Ich möchte Anfänger bleiben.

Ist das nicht in Wirklichkeit noch anstrengender?

Ich habe nichts erwartet, und alles so genommen, wie es kam. Seitdem unsere Tochter da ist, hat sich die Sache allerdings gewandelt. Ich bin glücklich. Das Singen ist weniger wichtig geworden. Ich betrachte mich heute nicht primär als Sänger. Sondern als Dad.

Haben Sie keine Gesangsvorbilder mehr?

Doch: Caruso und Benjamino Gigli. Letzterer war ein lyrischer Tenor, der trotzdem bis zum Verismo und bis zu Verdis "Otello" fortgeschritten ist. Caruso wiederum kam aus dem Nichts. Und wurde der König der Oper. An diesen beiden orientiere ich mich. Dass ich ihnen gerecht werden kann, davon würde ich allerdings nicht ausgehen.

Ihre Stimme hat eine Weichheit, und trotzdem einen gewissen Peng. In der italienischen Gesangstechnik bezeichnet man den als „Squillo“. Wo haben Sie ihn her?

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Wer suchet, der findet. Talent, wissen Sie, ist ein tückischer Begriff. Die Stimme muss man in sich entdecken, nicht einfach aufwecken oder so. Ist viel Arbeit. Wenn man sagt: „Oh, dieses Baby schreit aber toll!“, so ist das vielleicht ein gutes Zeichen. Und doch nur ein zarter Anfang, aus dem noch nichts folgt. Als ich jung war, sang ich recht gut als Knabensopran. Die Stimme war eher dunkel im Timbre, während mein Bariton später sehr hell klang. Ich war, als ich studierte, das perfekte Beispiel für den Satz, dass ein Bariton nichts anderes ist als ein fauler Tenor.

Ihr Durchbruch war „Francesca da Rimini” an der Deutschen Oper Berlin. Im Stück wird Ihr Auftritt lange angekündigt, indem man sagt: Jetzt kommt der bestaussehende Mann der Welt. Hat Sie diese Ankündigung nicht nervös gemacht?

Und ob. Denn ich musste, als ich dann auftrat, wirklich gut aussehen. Ich hatte Glück. Am Ende ist alles nur eine Self -Fulfilling-Prophecy: Wer als gut aussehend erwartet wird, sieht besser aus. Außerdem würde ich zu meiner Verteidigung vorbringen: Ich achte körperlich auf mich. Ich esse einigermaßen gesund und trainiere. In Wirklichkeit aber, und jetzt folgt der entscheidende Punkt, kommt es doch eigentlich nur auf die Haare an.

Eigentlich sehen Sie auf der Bühne besser aus als auf Fotos. Oder?

Stimmt. Ich glaube, mein Aussehen ist auf Fernwirkung berechnet.

Mögen Sie Fotoshootings?

Ich hasse sie. Diese Shootings dauern länger als eine Probe an der Met. Ich habe allerdings dabei gelernt: Man muss mit den Fotografen arbeiten. Das hilft. Ein bestimmtes, einzelnes Foto spielte in meinem Leben übrigens eine unsagbar wichtige Rolle: das Foto meiner Eltern. Ich habe sie nicht gekannt. Denn ich wurde adoptiert, und kenne von ihnen nichts anderes als diese eine Fotografie.

Aus Südamerika, Ihrer Heimat, kommen die meisten großen Tenöre der Gegenwart, etwa Juan Diego Flórez, Rolando Villazón, José Cura, Marcelo Álvarez und Ramón Vargas. Singen die anders?

Vielleicht schon. Der Mix macht‘s. Es gibt sehr viele indigene Einflüsse bei uns. Entsprechend wandlungsfähig sind wir. Der wichtigste chilenische Tenor, Ramon Vinay, sang schweren Verdi und war ein Wagner-Spezialist. Er hatte eine gewisse Dunkelheit – und ein großes Geheimnis in der Stimme. Bei Cura, finde ich, gibt es das auch.

Der Tenor gilt als das erotischste Stimmregister von allen. Sind Tenöre bessere Liebhaber?

Ich habe noch keinen Tenor geliebt. Bin überfragt. Anders gesagt: Erkundigen Sie sich bei meiner Frau. Ich hoffe, dass Sie mich nicht im Stich lässt.

Kann man von all den Liebhabern, die Sie so auf der Bühne verkörpern müssen, etwas lernen?

Ja. Sie haben ständig Probleme, lassen aber trotzdem nicht nach. Wenn einem das keine Lehre ist, hat man es eigentlich nicht besser verdient.

Das Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser.

Info

"Viva Puccini", Mittwoch, 28. August, 19.30 Uhr, Glocke. Mit Jonathan Tetelman (Tenor) und den Bremer Philharmonikern unter Leitung von Marko Letonja. Tickets unter www.nordwest-ticket.de

Zur Person

Jonathan Tetelman

wurde 1988 in Castro (Chile) geboren und ist einer bedeutendsten Tenöre der jüngeren Generation. Er studierte in New York zunächst auf Bariton, bevor er am Mannes College for Music zum Tenor überging. 2018 debütierte er in Puccinis „La Bohème“ beim Boston Symphony Orchestra. Seither gilt er vor allem als Spinto-Tenor für Opern von Puccini und Werke des Verismo. Tetelman wohnt in New York und zieht demnächst nach Berlin um.

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