Heimat, das ist ein oft bemühter Begriff. Kein Ort, sondern ein Gefühl, sagen manche. Andere schaffen Ministerien dafür, als könnte man ins Herz der Menschen hineinregieren. Manche haben sogar mehrere Heimaten, ob gewollt oder ungewollt.
Natalie Shtefunyk ist so jemand. Es ist mehr als 20 Jahre her, dass sie in Bremen ankam, und es dauert nicht mehr lange, dann hat sie hier mehr Lebenszeit verbracht, als irgendwo sonst – die Ukraine eingeschlossen. Hier hat sie erst gelitten, dann gelebt, studiert und gearbeitet, hier ist sie Mutter und Künstlerin geworden. Mit ihrem Gastspiel "Heimatherz & Herzheimat" wird sie am kommenden Freitag im Theater Bremen auftreten.
Eine Frau aus Czernowitz, im Westen der Ukraine, singt, dichtet und erzählt darüber, wie es ist, in Deutschland ein neues Leben zu beginnen – das ist natürlich hochaktuell. Doch auf dem Papier könnte sich Shtefunyks Weg hierher kaum stärker von dem ihrer Landsleute unterscheiden, die mittlerweile täglich einreisen. Sie musste nicht flüchten; als Shtefunyk sich entschied, zu studieren, war schon klar: Es soll nach Deutschland gehen, nach Bremen. Warum weiß sie selbst nicht genau, jedenfalls nicht nur wegen der Stadtmusikanten. Und trotzdem sagt sie: "Die Probleme heute sind die gleichen wie vor 20 Jahren."
Erst zur Arbeit, dann zur Uni
Da wäre allem voran die Sprache: Wenn du sie nicht beherrscht, kannst du nicht du selbst sein, meint sie. "Bis ich richtig Deutsch gesprochen habe, hatte ich zum Beispiel nur miese Jobs. Ich war putzen oder morgens um vier Lebensmittelkonserven verpacken." Aber sie brauchte das Geld für ihr Studium. Mathematik und Informatik, Fachbereich drei – genau so sagt sie das. Heute ist sie Systemingenieurin und führt eine Gastronomie. Wie sie dazu noch auf die Theaterbühne gelangte? Das will sie erst am Freitag verraten.
Doch ihr erstes eigenes Stück wird nicht ihre erste Bühnenerfahrung im Theater Bremen. Bereits 2019 spielte sie mit in Alize Zandwijks "Mütter". Zandwijk ist es auch, die ihr seitdem bei der Entwicklung von "Heimatherz & Herzheimat" zur Seite stand, zusammen mit Dramaturg Stefan Bläske. Und wären die vergangenen zwei Jahre anders verlaufen, ihr Programm wäre längst aufgeführt und müsste nicht gezeigt werden, während ihre Landsleute vor russischen Bomben fliehen.
Trotz der Umstände hat Shtefunyk nicht viel umgestellt im Ablauf ihres Abends. "Es ist ja nicht nur ein Stück über ukrainische Frauen, sondern es geht um das Leben im allgemeinen. Um Hindernisse, Verletzungen, aber auch viel Liebe, die ich erfahren habe – und das sind sicher Erfahrungen, die viele Menschen teilen, insbesondere die, die irgendwann ihren Heimatort verlassen."
Wenn sie die Ukraine vermisst, fährt sie normalerweise einfach hin, möglichst oft und möglichst lange. Zuletzt im Januar, und wäre nicht Krieg, würde Shtefunyk bald zum Geburtstag ihrer Oma reisen. Stattdessen probt sie nun für ihren Auftritt und hilft Geflüchteten mit ihrem Verein Human Rights Ukraine. "Mir ist wichtig, dass sich die Menschen, die hierher kommen, wohl fühlen", sagt sie. So wie sie selbst es heute tut. Wenn sie eines Tages zurück in der Ukraine sind, sollen sie Bremen gerne wieder besuchen wollen. "Und für die, die länger bleiben, bin ich da."
Für Natalie Shtefunyk ist die Wahlheimat heute einfach nur noch Heimat. Bis es soweit war, hat es gedauert, zehn Jahre mindestens, und ihren ukrainischen Pass würde sie auch heute nicht gegen einen deutschen tauschen. Trotzdem ist sie angekommen. Mit "Heimatherz & Herzheimat" will sie zeigen, wie steinig der Weg bis dahin war. Und sie möchte möglichst vielen Menschen helfen, diesen Weg ebenfalls zu gehen.