Auf der Getränkekarte stehen Softdrinks, Wasser, Bier und Wein. Brennender Sambuca ist leider schon ausverkauft. Warum das in einer Theaterkritik eine Rolle spielt? Nun, weil die Bremer Shakespeare Company sich in ein Pub verwandelt hat. Genau hier nämlich, in einer Kneipe, spielt ein großer Teil von "Der seltsame Fall der Prudencia Hart", einer Geschichte von David Greig, die 2011 in Glasgow seine Uraufführung feierte. Die Shakespeare Company hat sie nun unter der Regie von Patricia Benecke als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne gebracht.
Die Theaterbesucher sind gleichzeitig Pubgäste, die meisten sitzen an großen eckigen Tischen, anstatt in den üblichen Sitzreihen. Die Bar gehört zum Bühnenbild und ist stets geöffnet. Einige Mutige holen sich Biernachschub, auch während des Spiels. Dabei erzählt das Stück von einer jungen Frau, für die Spaß nicht bedeutet, gemeinsam mit Freunden einen über den Durst zu trinken, sondern sich in staubige Abhandlungen über die Geschichte von Grenzballaden zu vergraben.
Prudencia Hart (Sofie Alice Miller) ist Literaturwissenschaftlerin. Und zwar eine von der konservativen Sorte. Ganz im Gegensatz zu ihrem Kollegen Colin Mann (Tim Lee), einem arroganten, motorradfahrenden Angebertypen, der Balladen mit Facebookposts vergleicht und Prudencias Arbeit als "niedlich" bezeichnet.
Eingeschneit in Kelso
Zu Beginn des Stückes ist Hart ebenso wie Mann auf dem Weg in das schottische Städtchen Kelso, wo eine Konferenz über romantische Grenzballaden stattfinden und sie einen Vortrag halten soll. Und während sie fährt, beginnt es zu schneien. Für den Schnee ist das Publikum zuständig (und Simon Elias, der sichtlich Freude daran hat). Denn hier sind die Theaterbesucher wirklich mittendrin statt nur dabei. Gespielt wird nicht auf der Bühne, sondern überall im Zuschauerraum. Die Schauspieler schwärmen aus, spielen zwischen den Tischen, auf den Tischen oder – im Fall von Simon Elias als strickende Oma – auch mal auf dem Schoß eines Besuchers. Gerade zu Beginn des Abends weiß man als Zuschauer gar nicht, wo man zuerst hingucken soll.
Weil die Straßen komplett eingeschneit sind, bleibt Hart nach der Konferenz, die für sie nicht besonders gut lief, nichts anderes übrig, als mit ihren Kollegen noch in eine Bar zu gehen, in der zu ihrem Entzücken gerade eine Folk Night stattfindet. Diese wird – gar nicht zu ihrem Entzücken – aber schnell zu einer Karaoke-Party mit Bier für ein Pfund. Und während alle immer betrunkener werden (Ulrike Knospe, Petra-Janina Schultz, Simon Elias und Tim Lee geben eine wunderbare Partygesellschaft ab), ergreift Hart die Flucht und macht sich auf den Weg zu einem Bed & Breakfast, auf das sie durch eine Visitenkarte aufmerksam geworden ist, die sie auf der Toilette gefunden hat. Natürlich geht sie aber nicht, bevor sie den Feiernden noch einen kurzen, belehrenden Vortrag darüber gehalten hat, wie gefährlich es sein kann, betrunken im Schnee einzuschlafen.
Draußen trifft Hart auf den freundliche B&B-Inhaber Nick (Elias). Dieser ist jedoch nicht, wer er vorgibt zu sein. Er ist der Teufel und führt die junge Frau nicht ins Hotel, sondern direkt in die Unterwelt. Und so wird Hart, die meint, aufgrund ihrer Forschung alles über die Hölle und den Teufel zu wissen, eines Besseren belehrt.
Reime, Lacher und Gesang
Es wird unfassbar viel gelacht bei diesem Stück, das – es geht schließlich um Balladen – größtenteils in Reimen vorgetragen wird (Übersetzung Patricia Benecke und Simon Elias). Sowohl das Publikum als auch die Darsteller selbst haben sichtlich Spaß an der Geschichte. Gerade zum Ende hin kratzt das Ensemble hier und da allerdings leicht an der Grenze zum Albernen. Zum Beispiel, wenn die Erinnerungen an eine durchzechte Nacht in Zeitlupe nachgespielt werden oder eine der Figuren minutenlang mit einer bekannten, umgedichteten Fußball-Hymne besungen wird. Das macht aber nichts. Bei diesem unfassbar wilden, rasanten, fast schon reizüberflutenden Spektakel ist alles erlaubt. Die Leistung der fünf Darsteller, mit viel Text, Musik (von Robert Burns bis hin zu Kylie Minogue, stets begleitet von Karin Christoph an der Violine oder dem Akkordeon), sowie zackigen Wort- und Rollenwechseln, ist beeindruckend. Belohnt wird das am Ende der Premiere am Freitag mit lang anhaltendem Applaus.
Was Prudencia Hart in der Hölle macht und ob sie dem Teufel am Ende entkommt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Es gibt Dinge, die muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Und dazu gehört zweifelsohne dieses Stück.