Manchmal fühle er sich ein bisschen wie im Oval Office, sagt Sönke Busch und schmunzelt. Ganz abwegig ist der Vergleich nicht, einen rechten Winkel sucht man immerhin auch in seiner derzeitigen Wirkungsstätte vergeblich. Gut, er hat nicht ganz so viel Platz zur Verfügung wie der Präsident der Vereinigten Staaten, wenn er an seinem Schreibtisch sitzt, aber immerhin hat er viele Fenster, viel Licht und vor allem viel Ruhe.
Nur hin und wieder verirrt sich jemand dorthin, wo der Autor und Künstler aktuell arbeitet. Und in sein Refugium darf außer ihm nicht einmal jemand rein: Busch hat vor einigen Monaten den Molenturm in der Überseestadt bezogen. Eigentlich sollte seine Zwischennutzung nur bis Ende Oktober gehen, doch gerade hat er seinen Aufenthalt in Absprache mit seinem Vermieter, der Wirtschaftsförderung Bremen, um sechs Monate verlängert.
Für viele wäre der kleine, denkmalgeschützte Leuchtturm, der von den Bremern auch gerne Mäuseturm genannt wird, sicher nicht der ideale Arbeitsplatz. Es gibt keine Toilette, keine Heizung, kein fließend Wasser. Busch - der 2008 schon einmal kurz in dem Turm gearbeitet hat - stört das nicht. Meist komme er eh nur für zwei, drei Stunden zum Schreiben her. Woran er dann arbeitet? Das weiß er meist vorher nicht. Er schreibt auf, was er im Alltag so beobachtet und was ihm eben dazu einfällt. Mal- und Schreibutensilien, ein paar Müsliriegel, einige Wasserflaschen und einen Ein-Platten-Herd zum Tee kochen. Den trinkt er aus einer "Pulp Fiction"-Tasse. Mehr braucht er nicht an seinem ungewöhnlichen Arbeitsplatz. Für ganz harte Zeiten steht noch ein Glas Baked Beans auf einer der vielen Fensterbänke.
Vom Künstlerleben in der Krise
Ein kleines Büchlein hat Busch in den vergangenen sechs Monaten im Turm bereits zu Papier oder wohl eher zu Laptop gebracht. Es dreht sich um das Thema "Arbeit", so auch der Titel des 180-Seiten-Werks, das gerade im Lektorat ist und für das Busch noch einen Verlag sucht. "Es geht um Arbeit in härter werdenden Zeiten, aber gewohnt gut gelaunt, verpackt mit Witzen und absurden Vergleichen", fasst er sein Werk zusammen.
Es sei seine persönliche "Betrachtung dazu, wie seltsam die Welt gerade ist." 42 kurze Kapitel, aufgeschrieben, damit er sie "aus dem System hat". Konkret geht es auch um Busch' Arbeit im Lager eines Fachhandels für Bürobedarf im Viertel, einen Job, den er zusätzlich annehmen musste, um als Künstler zwischen immer neuen Krisen über die Runden zu kommen.
Busch – in Hastedt geboren, im Viertel zu Hause – redet gerne, denkt über seine Sätze nach, lässt sich Zeit und weiß dann doch genau, was er sagen will. Nur, wenn es um seinen eigenen Werdegang geht, spricht er plötzlich schneller, nuschelt fast, so, als wolle er lieber wieder über etwas anderes sprechen, etwas, das in seinen Augen wichtiger ist - Politik, Kunst, Bremen. Dabei ist seine Geschichte durchaus spannend: Er machte ein Fachabitur in Modedesign, arbeitete bei den Bavaria Filmstudios in München und kam über ein Stipendium an die Filmhochschule in Wien. Abgeschlossen hat er die allerdings nie.
Nach seinem Hochschul-Abgang macht er noch eine Zeit lang auf eigene Faust Filme, bis er zu dem Schluss kam: "Wenn etwas gut genug geschrieben ist, reicht es, wenn es jemand liest. Da braucht man keine Schauspieler". Also konzentrierte er sich fortan genau darauf: aufs Schreiben. Oder wie es sehr treffend in einer Ankündigung zu einer Ausstellung von Busch in der Villa Ichon 2018 hieß: "Nach Jahren der Arbeit als Filmregisseur und freier Künstler in Wien, Berlin und Amsterdam zog es Busch wieder nach Bremen, wo er seitdem viel Geld als Autor und Maler verdient, aber nicht bekommt."
Busch hält Reden in der Stadt, beteiligt sich an Slams, gibt Lesungen (unter anderem auch "Die lauteste Lesung der Welt", mit der er vom Café Sand aus einst die halbe Stadt wachhielt), schreibt seine Gedanken auf und veröffentlicht sie unter anderem in seinem Online-Portfolio. Während der Pandemie las er seinen Zuhörern online über Facebook jeden Tag ein Stück aus Michael Endes "Die unendliche Geschichte" vor. Er setzt sich dafür ein, dass leer stehende Flächen in der Stadt besser zwischengenutzt werden, beteiligt sich an Diskussionsrunden und beschwert sich, wenn ihm etwas nicht gefällt.
Schon als Teenager gemalt
Doch auch die Kunst spielte schon immer eine wichtige Rolle im Leben des 42-Jährigen. Malen sei für ihn schon zu Jugendzeiten das Wichtigste gewesen. Warum? "Weil ich schon damals wusste, dass Teenager nicht schreiben sollten", sagt Busch und lacht.
Seine künstlerischen Spuren hat er an vielen Orten in der Stadt hinterlassen. So gestaltete er unter anderem die Fassaden am Haus der Aids-Hilfe Bremen mit der roten Schleife und verzierte die Wand des "Wohnzimmers" im Viertel, bemalte eine Skateboard-Rampe vor dem Schlachthof und vieles mehr. Ein großer Teil seiner Kunst - viel Graffiti, viel Kalligrafie - spielt sich auch online ab oder ist hier und da mal in einer Ausstellung zu sehen.
Weitaus größer will Busch das Thema Kunst im öffentlichen Raum - oder wie er sagt Kunst am öffentlichen Raum (dafür hat er sogar ein Zentrum gegründet) - in einem Großprojekt angehen, das er für die kommenden fünf Jahre plant: "Monumenta Bremen" heißt es und hat kurz gesagt ein Ziel: mit lokalen und internationalen Künstlern im großen Stil die Stadt zu bemalen, beginnend im Viertel und dann weiter über die Wände entlang der Hochstraße und schließlich übers ganze Stadtgebiet.
Er träumt von einem Museum, im oberen Bereich des ehemaligen Bundeswehrhochhauses. Von dort aus sollen Menschen die Kunst in der Stadt durchs Fenster, aber auch mithilfe von Virtual-Reality-Brillen erleben können; von neu gestalteten Haltestellen, Bussen und Bahnen, von der Umnutzung von Werbe- zu Kunstflächen.
Noch sind dies Ideen, für die es natürlich auch die nötige Unterstützung braucht. Bis er loslegen kann, sitzt er weiter in seinem persönlichen Mini-Oval-Office, schreibt und schmiedet Pläne. Pläne, wie er Bremen mit Kreativität und Sprache noch ein bisschen besser machen kann.