"Er stand immer etwas unheimlich im Magazin, in Folie eingepackt, und hat uns erschreckt, wenn wir vorbeigingen." Jetzt hat Ingmar Lähnemann, Leiter der Städtischen Galerie Bremen, dem Spuk ein Ende bereitet. Mit einem kleinen Team packt er jedes Objekt im Magazin aus und sieht nach, worum es sich handelt.
Der geisterhafte Geselle entpuppte sich als mürrischer Mann mit Schlauchboot – "das haben wir erst einmal aufgepumpt." Wie beides zusammenpasst, musste auch noch ausgeknobelt werden, alte Klebepunkte führten auf die richtige Spur. Der Mann trägt das Schlauchboot auf dem Rücken und dessen Leine um den Hals. Die Skulptur von Thomas Recker steht jetzt oben im großen Saal. Drumherum, noch verpackt oder schon zurechtgelegt, jede Menge anderer Kunst. Auf einem Gemälde trifft Alfred Hitchcock Dracula, neben einem Fahrradobjekt steht – noch ohne das dazugehörige Künstlerbuch – ein Tisch von Norbert Schwontkowski, dessen Frühwerk in der Sammlung gut vertreten ist.
Die Städtische Galerie macht Inventur, von Sonnabend an kann das Publikum miterleben, wie die Experten Woche für Woche neue Regalreihen erkunden. Die Ausstellung "Das bleibt" wird sich folglich permanent ändern. Scouts empfangen neugierige Deichspaziergänger, am Haupteingang wird ein Café eingerichtet.
Gut 6000 Arbeiten regionaler Künstler verwaltet die Galerie, ein städtischer Kunstbesitz von einigem Wert. "Der Schwerpunkt liegt auf den 1980er- und 1990er-Jahren", so der Galeriechef. "Denn 1981 wurde in Bremen die soziale Künstlerförderung eingeführt. Bedürftige Künstler erhielten ein Jahr lang einen Betrag, der deutlich über der Sozialhilfe lag. Dafür mussten sie der Stadt als Gegenleistung ein Kunstwerk schenken." Diese Maßnahme trug bis 2004, bis zur Einführung von Hartz IV, reiche Früchte.
"Bei der Ausstellung ,Was bleibt' während der Corona-Zeit haben wir gemerkt, dass wir gar nicht genau wussten, welche Schätze wir besitzen und dass wir uns jedes Stück einzeln ansehen müssen", bemerkt Lähnemann. Was nicht unproblematisch ist: Zum einen befinden sich nur 2000 bis 3000 Werke im engen Magazin der Galerie, die übrigen wurden oft vor Jahrzehnten an alle möglichen städtische Stellen ausgeliehen. Zum andern ist das schriftliche Archiv schlecht sortiert und lückenhaft. Es fehlt an Fotos oder genauen Zuschreibungen, das Material über die 680 Kunstwerke im öffentlichen Raum, die zusätzlich zum Bestand zählen, findet sich unübersichtlich in 180 chronologisch sortierten Aktenordnern.
Die Stadt finanziert nun, vorerst für ein Jahr, eine volle Stelle zur Digitalisierung des Bestandes. Darum kümmert sich Angela Tietze. Darüber hinaus sortiert die Künstlerin Mari Lena Rapprech die 180 Aktenordner neu, lichtet Fotograf Jens Weyers die Kunstwerke fachgerecht ab. Manchmal sind Arbeiten auch beschädigt. "Da wir keine Restauratoren haben, werden wir andere Häuser um Hilfe bitten", kündigt Ingmar Lähnemann an. Inventur, eine Mammutaufgabe.
Bunte Fischskulptur
Was bisher an Überraschendem auftauchte, wird im ersten Raum oben an der Treppe gezeigt. Eine expressive Jagdszene von Hartmut Neumann. Ein wildfarbiges abstraktes Triptychon von Jürgen Hühne. Zwei ausdrucksstarke Frauenporträts von Annkristin Fleischauer. Ein kunstvoll in Grau gemalter Plattenspieler von Jutta Haeckel. Archaische Wachsobjekte von Sabine Stoffregen. "Es sind erfreulich viele Frauen dabei", stellt Organisatorin Anja Wohlgemuth fest.
Der Hauptblickfang stammt indes vom rebellischen Bunkermaler Hermann Stuzmann: Eine schablonenhafte, bunt bemalte Fischskulptur steht mitten im Raum. Wohlgemuth weiß, dass sich noch weitere Arbeiten Stuzmanns im Magazin verbergen: "Wir hoffen, dass wir bald seine riesige Plastik ,Die Nase' finden." Die wird dann natürlich auch ausgestellt – bis der nächste Schatz nachrückt.