Eine Nacht im Museum gefällig? Zwei Monate lang ist dazu jetzt Gelegenheit. Eine Kunstaktion macht es möglich, die sich Effrosyni Kontogeorgou und Lukas Zerbst, beide Träger des Bremer Förderpreises für bildende Kunst, für ihre gemeinsame Ausstellung in der Städtischen Galerie Bremen ausgedacht haben. Über Airbnb, das Online-Portal zur Vermietung von Privatunterkünften, lässt sich einer der zwei große Ausstellungsräume im Obergeschoss buchen, für 100 Euro die Nacht.
Ob das wirklich reizvoll ist? Lukas Zerbst, der auch schon mal im Kunstverein Hannover sein Bett aufgeschlagen hat, spricht aus seiner Erfahrung der vergangenen Wochen: "Der Nachhall hier beträgt zehn Sekunden." Schließlich wurde der Saal mit den Eisenguss-Pfeilern einst als Gär- und Lagerraum einer Brauerei genutzt. Da bleibt zwischen dem schmalen Bett, dem Spind und dem Loriot-Sofa mit einsamer Palme viel leerer Platz.
Kurator Ingmar Lähnemann erkennt in der Aktion zum einen eine politische Aussage: "Airbnb, das einst als Couchsurfing-Projekt gedacht war, führt ja inzwischen dazu, dass der Wohnraum in den Städten knapp wird, weil viele Wohnungen dauerhaft wie ein Hotel genutzt werden." Zum anderen eine Grenzüberschreitung: "Wir Museumsleute müssen lernen, damit umzugehen, dass unsere Räume plötzlich fremdgenutzt werden. Sicher geglaubte Barrieren gelten auf einmal nicht mehr."
Damit ist das Generalthema der Ausstellung "Out of body experiences & Horizontal Heights" (Außerkörperliche Erfahrungen und horizontale Höhen) benannt. Es geht um die Aneignung von Revieren. "Wo fängt ein privat definierter Raum an? Wo endet er? Wo wird er öffentlich? Wie geht man damit um, wenn er besetzt wird?" Das seien die Ausgangsfragen, so Lähnemann.
Effrosyni Kontogeorgou gibt darauf gleich am Eingang amüsante Antworten. An einer Fensterscheibe neben der Tür hat die aus Athen stammende Förderpreisträgerin des Jahres 2019 einen Lautsprecher installiert, der sowohl nach draußen wie nach drinnen schallt. Interviews sind zu hören: 42 Minuten lang befragt sie fünf Mitbewohner ihrer WG, wie sie damit umgehen würden, wenn ein Künstler in ihrem Zimmer eine Ausstellung präsentieren wollte. Kämen die Besucher abends? Würden sie womöglich übernachten? Oder zumindest den Keksteller plündern?
Rechts vom Eingang hat Kontogeorgou eine große (nachfüllbare) Pfütze installiert. Als befinde sich der Besucher noch im Regen draußen. Lautsprecher, die unter einer im Wasser liegenden Metallplatte verborgen sind, lassen das Wasser hörbar brodeln. Was nicht nur einen hohen ästhetischen Reiz hat, sondern auch daran erinnern soll, dass Tiere ihren Raum durchs Wasserlassen markieren. An der Wand gegenüber haben Muscheln dekorativ einen Fahrradrahmen besetzt. Die Rostlaube stammt aus einem Bremer Teich. Hier wurde Naturraum gleich doppelt verletzt: von den Leuten, die ihren Müll ins Wasser warfen, und von der Künstlerin, die den Muscheln ihren Wohnplatz raubte.
Für weibliche Stehpinkler
Im Obergeschoss überschreitet die 42-jährige Griechin ebenfalls Grenzen. Hängt eine Urinierhilfe für Frauen, die im Stehen pinkeln möchten, an die Wand wie einst Marcel Duchamp sein Urinal – eine feministische Ansage. Präsentiert 20 Mikroskopaufnahmen, für die sie Schweiß von Museumsmitarbeitern sammelte und auf Petrischalen tropfte. Öffnet den Hinterausgang zum Deich, so dass jeder Spaziergänger hereinkommen und den ersten leeren Raum nutzen kann. Mal sehen, was passiert. Vielleicht kommt ja eine Kohlmeise herein und schaut sich neugierig um wie im Video, wo der Vogel ins Atelier eindringt und über Tisch und Bett hüpft.
Für eine tierische Überraschung ist auch Lukas Zerbst gut, der Förderpreisträger von 2018. Der gebürtige Pole, der seit 2019 in Hannover lebt, hat eine Ratte gefilmt, die in seinem Atelier an einem Reishaufen knabbert und plötzlich erschreckt davonläuft. Der Betrachter sieht sie auf einem wie ein Fenster aufgestellten Bildschirm, über dem sich unvermittelt eine echte Jalousie bewegt. Solche kleinen Schockmomente liebt der 35-jährige Elektro-Tüftler. Das zugemauerte Fenster am Treppenaufgang, hinter dem das Magazin der Galerie liegt? Wird lebendig. Durch die Backsteine bläst es lautstark, die Gardine bauscht sich. Die riesigen hölzernen Trennwände oben im großen Saal? Kreisen wie von Geisterhand langsam um den Besucher herum. Auf dem dünnen Glasdach? Stampfen schemenhaft zwei Füße herum. Werden sie durchbrechen? Es ist am Ende nur eine leichte Roboter-Konstruktion, die sich dort, programmiert, bewegt. Aber das sehen nur die Nachbarn von außen.
Gibt es in unserer Zeit noch Trennungslinien und Tabus? Unterm Glas einer Vitrine kann der Besucher auf einem Tablet Zerbsts Sportaktivitäten und Ernährungsdaten in Echtzeit verfolgen: Nicht nur der Künstler ist längst ein gläserner Mensch. Da tut es schon gut, dass die Lichtzeichen, mit denen sich Zerbst auf dem Glasbalkon und ein Herr im Begegnungszentrum gegenüber abends bei Dunkelheit ihre Befindlichkeiten für alle sichtbar mitteilen, nicht gleich von jedem zu entschlüsseln sind.
Zwei Künstler, die vor Ideen nur so sprühen: Die Erfahrung immer neuer Grenzdurchbrüche ist ein Abenteuer, das Spaß macht. "Denn", so freut sich Kurator Ingmar Lähnemann, "hier steckt auch ganz viel Humor drin."