Stahl und Natur? Im ersten Moment zwei Dinge, die widersprüchlicher kaum sein könnten. Die in Bremen geborene Künstlerin Andrea Geile beweist in ihrer Ausstellung "hinauswachsen/fertile ground" (fruchtbarer Boden, Nährboden) im Gerhard-Marcks-Haus allerdings, dass sich beides ganz wunderbar vereinen lässt. Zumindest, wenn man mit dem Stahl so arbeitet wie sie.
Geiles Kunst ist inspiriert von der schottischen Natur, denn die Bildhauerin lebt und arbeitet seit 1995 in Edinburgh. Wie groß der Einfluss ihrer Umgebung auf ihr Arbeiten ist, stellte auch Kuratorin Mirjam Verhey-Focke fest, als sie die Künstlerin in Schottland besuchte. "Noch bevor ich einen Fuß ins Atelier setzen durfte, waren wir erst einmal wandern", erzählt sie und lacht. Hier habe sich gezeigt, wie sehr sich die Umgebung in Geiles Kunst abzeichne.
Mal präzise, mal abstrakt
Die Bildhauerin greift verschiedene schottische Landschaftsformen auf, mal Bäume, mal Pflanzen, in einem Raum auch kleine Waldtiere. Ihre Bäume aus Stahl sind mal inspiriert von meterhohen "Scots Pines" (Kiefern), an anderer Stelle hätten sie aber auch Bäume in ihrer alten Heimat Bremen, in den Wallanlagen, inspiriert, erzählt Geile. Mal bleiben ihre Baumskulpturen schlicht und abstrakt, mal hat sie mit einem Plasmaschneider unglaublich präzise, filigrane Formen, wie die Umrisse einzelner Blätter, aus den Cortenstahl-Platten herausgearbeitet – alles per Hand. "Mit Lasertechnik arbeite ich nicht. Ich will, dass sich auch meine Tagesform in der Arbeit widerspiegelt", sagt Geile. "Wenn ich will, dass eine Arbeit in sich ruht, bringe ich auch mich selbst in die Stimmung dafür." Besonders eindrucksvoll zeigt sich ihre ungewöhnliche Herangehensweise in der Arbeit "Leaf Clouds" (Blätterwolken), in der sich viele kleine Stahlblätter wie Efeu über die Wand des großen Raumes im Gerhard-Marcks-Haus ausbreiten.
Im Laufe ihres Schaffens hat Geile auch begonnen, Kunstwerke in Würfelform zu schaffen, wovon sich in der Ausstellung einige in einem mit "Biotope" betitelten Raum wiederfinden – zusammengeführt in kleinen Stapeln aus einzelnen Elementen. "Jeder Würfel ist eine Idee, die aber auch mit anderen verknüpft werden kann", erklärt Geile. "Ich könnte eine ganze Landschaft auch anhand von Würfeln darstellen." Mal war die Zellstruktur von Blättern die Vorlage für ihre Würfel, mal zeichnen sich einzelne Blätter ganz vorsichtig auf den rostigen Stahlwänden ihrer Kuben ab, mal bestehen diese nur noch aus Blätterformen.
Auch wenn sie den Innenraum immer mitdenke, seien viele ihrer Arbeiten vor allem für draußen gemacht, sagt Geile. "Schon im Studium hatte ich Interesse an Außenskulpturen und daran, dass sie sich in Landschaften einfügen." Stahl, der sich im Laufe der Zeit auch von alleine verändert, biete sich da gut an. Hin und wieder arbeitet Geile auch mit Farbe. Dafür sammelt sie Blätter an bestimmten Orten zu bestimmten Jahreszeiten, scannt sie und lässt sich nach diesen Vorlagen die passenden Farben mischen.
Eine subtile Kritik
Natürlich ist Geiles Kunst auch eine subtile Kritik am Umgang des Menschen mit der Natur und ihrer zunehmenden Zerstörung. Den Zeigefinger erhebt die Künstlerin allerdings nie. "Ich will niemandem Vorwürfe machen, und ich schreibe nichts vor", sagt sie. "Aber ich will, dass meine Kunst nachhallt, und der Mensch beginnt, mehr Verantwortung zu übernehmen." Das mit dem Nachhall ist ihr in ihrer Bremer Ausstellung zweifelsohne gelungen. Der Rest liegt bei den Besuchern.