"Zungenküsse sind tabu. Es darf nur ein Schmatzer sein, das weiß jeder Profi. Und natürlich sollte man sich die Zähne geputzt und keinen Knoblauch gegessen haben.“ Davon abgesehen, seien Küsse auf der Bühne keine große Sache, sondern Arbeitsalltag, findet Schauspielerin Isabell Christin Behrendt vom Bremer Boulevardtheater: „Bett- oder Nacktszenen lassen sich schwieriger umsetzen.“
Ein wenig problematisch werde das Küssen allenfalls, wenn ihr Mann mitspiele, bemerkt sie lachend. "Der ist nämlich auch Schauspieler, hier im Ensemble." Es falle ihr leichter, Kollegen zu busserln als den Gatten: "Dann kommt etwas Privates hinein, das man beim Spielen einer Rolle nicht gebrauchen kann." Etwas merkwürdig sei es auch, dem anderen beim Bühnenküssen zuzusehen. "Einmal musste ich mit einem Kollegen auf der Bühne wild herumknutschen, und mein Mann saß im Publikum – da hat er die ganze Zeit weggeguckt."
Die Vertrauensbasis in einem kleinen Ensemble helfe, solche Szenen umzusetzen. „Man kennt sich, und auf der ersten Probe küsst man erst mal nur auf die Wange.“ Anstrengend werde es eher, wenn die Komödie einen Dauerkuss herausfordere: „Da steht man zwei Minuten Lippe an Lippe, das Publikum applaudiert wie wild, und man denkt: Nimmt das denn gar kein Ende.“
Ein Phänomen, das Filmschauspieler nur zu gut kennen, wenn sie eine Szene so lange wiederholen müssen, bis sie überzeugend wirkt. Produzent Matthias Greving und Producerin Anne Reißner von der Bremer Kinescope Film bemerken dazu: „Küsse am Set sind schrecklich unromantisch: Mehrere Dutzend Menschen gucken dabei zu, wie sich zwei Schauspieler bemühen, möglichst innig und verliebt zu küssen.“
Fania Sorel vom Theater Bremen, seit 34 Jahren im Beruf, denkt an ihre Anfangsjahre beim Film mit gemischten Gefühlen zurück. Als sie etwa einen unerfahrenen Statisten immer und immer wieder küssen musste. „Damals sagte der Regisseur einfach: ,Macht mal‘“, erinnert sie sich. „Die Machtstrukturen waren anders als heute.“ Mittlerweile herrsche das Prinzip des „Closed Set“, werde die Zahl der am Dreh Beteiligten bei intimen Szenen auf ein Minimum beschränkt.
Am Theater Bremen gibt es einen Verhaltenskodex, in dem Respekt das oberste Gebot ist. Aktuell haben die Schauspieler auch ein vierstündiges Coaching zu Bühnensituationen besucht, in denen es um körperliche Nähe geht. Denn Küssen lernt man nicht auf der Schauspielschule. Welche Körperzonen sind „erlaubt“, welche heikel, welche tabu? Wie erkundigt man sich sensibel nach der Befindlichkeit seines Gegenübers?
„Wenn der Kuss unter sechs Sekunden dauert, werden noch keine Oxytocine freigesetzt“, weiß Sorel jetzt. Keine Kuschelhormone. „Ein guter Regisseur lässt den Akteuren Zeit und gibt ihnen mehrere Optionen an die Hand.“ Wenn sich ein Akteur nicht gut fühle, Herpesbläschen oder wunde Lippen habe, müsse es Alternativen geben, sagt die Schauspielerin, die an wilde Kussszenen wie in „Dragon Fly“ zurückdenkt. Man könne etwa den Kopf des Partners in die Hand nehmen und dann den eigenen Daumen küssen.
Allerdings: „Reine Andeutungen funktionieren auf der Bühne meist nicht. Dazu gibt es zu viele Sichtachsen“, betont Fania Sorel. „Das Publikum sieht Intimität gern, und sie so gut wie möglich zu spielen, ist unsere Aufgabe.“ Da gilt immer noch das Lied von Max Raabe: „Küssen kann man nicht alleine.“