Frau Kleinschmidt, worauf dürfen sich die Menschen freuen, wenn Sie am kommenden Sonntag mit Anton Tschechows "Drei Schwestern" die neue Spielzeit des Theaters eröffnen?
Irene Kleinschmidt: Auf Hochaktuelles. Das Stück erzählt von Menschen, die zwischen Wünschen und Wissen, zwischen Sehnsucht und Unzulänglichkeit hin- und herzappeln.
Die Schwestern träumen sich aus der Provinz ins schillernde Moskau...
Und sie müssten eigentlich reagieren, etwas unternehmen. Nicht nur bei ihnen, bei allen Figuren wäre vieles möglich, aber sie sind auf ihre Art zu müde, um zu handeln. Das Stück macht dabei keine Vorschläge, es spiegelt nur etwas, das bis heute weit verbreitet ist.
Obwohl es schon vor über 120 Jahren geschrieben wurde.
Weil es offenbar Menschliches einfängt. Es wird immer viel erzählt, philosophiert, gelitten, aber kommt danach auch eine Veränderung? Die Frage ist doch: "Und dann?". Die nimmt man bestenfalls mit nach Hause, und das macht vielleicht Mut, etwas von den eigenen Wünschen zu konkretisieren.
Regie führt Dušan David Pa?ízek. Wie haben Sie die gemeinsame Arbeit erlebt?
Wir haben 2014 schon bei "Die zehn Gebote" zusammengearbeitet, was ich sehr geliebt habe. Er ist in seinen Beschreibungen sehr genau, er versteht etwas von dem Handwerk, das wir brauchen. Und er sieht erstaunlich viel – so viel, wie kaum ein zweiter. Und dann sagt er dir, was du tun musst, um von A nach B zu kommen.
Sie spielen die Irina. Was ist das für eine Rolle?
Ich sage mal so: Als junge Schauspielerin hat mich die Inszenierung von Peter Stein sehr beeindruckt. Jutta Lampe war die mittlere Schwester, Mascha, die unglücklich Verzweifelt-Liebende. Für mich war das eine Traumrolle, doch rückblickend wundere ich mich über meine Romantisierung von unglücklichen Leidenschaften. Die Jüngste, Irina, ist stattdessen voller Angst vor Liebesbeziehungen. In dieser Angst spiegelt sich auch die heutige Jugend, die zum Beispiel versucht, die Liebe zu handlen. Wir haben alle zu lernen, wie es geht, dieses Lieben.
Im Stück ist Irina 20 Jahre alt.
Aber wir sind drei alte Schwestern, ich werde in diesem Jahr 60. Das ist ganz großartig, weil es impliziert, dass Irinas Leben schon fortgeschritten ist. Ihr Wunsch nach einem Umzug nach Moskau ist groß, doch während sie wartet, ist das Leben schon bald vorbei.
Die Besetzung ist ohnehin ungewöhnlich: Sie spielen die drei Schwestern lediglich zu zweit.
Ursprünglich wollten wir 2020 Premiere feiern. Gabriele Möller-Lukasz, die mit uns spielen sollte, ist jedoch in der Zwischenzeit erkrankt. Als klar war, dass sie nicht spielen wird, haben wir uns sehr respektvoll mit der Regie und der Intendanz beraten und letztendlich gemeinsam entschieden, dass wir keine Neubesetzung, kein "The show must go on" wollen. Auch etwas ganz anderes zu spielen, hat sich nicht richtig angefühlt. Wir mussten verschieben, und das Leben ist heute ein anderes – auch das doppelt sich mit dem Stück. Gabrieles Fehlen ist eine Wunde, die die Zeit geschlagen hat, und ich hoffe, dass man etwas davon spürt.
Moskau und Soldaten sind zentrale Motive des Stücks. Welche Rolle spielt der Angriff Russlands auf die Ukraine in Ihrer Inszenierung?
Er spielt eine Rolle, aber wir tarieren gerade noch aus, welche Konkretisierungen tatsächlich daraus folgen. Soldaten-Familien und Kriege sind ja ohnehin im Stück angelegt und für alle Zeiten und Kulturen gültig.
Das Gespräch führte Simon Wilke.