Herr Schumacher, die WESER-KURIER-Kritik zu "Vor Sonnenaufgang" war mit "Beklemmend nah dran am Alltag" überschrieben. Trägt das noch oder hat sich angesichts der Weltlage die Bedeutung des Stücks verändert?
Klaus Schumacher: Ewald Palmetshofer hat das Stück 2017 geschrieben, in einer Zeit, in der die ersten Rechtspopulisten in Österreich an die Regierung kamen und in den USA zum ersten Mal Donald Trump. Jetzt ist das Stück aktueller denn je. Man muss über all diese Themen sprechen, die uns so auseinandertreiben. Jeder argumentiert aus seiner Wahrheit heraus, weil alles ideologisch so aufgeladen ist. Es gibt keine gemeinsame Basis mehr. So ist es auch im Stück, wenn die alten Freunde Alfred Loth und Thomas Hoffmann aneinander vorbei reden.
Hoffmann, gespielt von Simon Zigah, engagiert sich in einer AfD-ähnlichen Partei.
Ja, und er verrät deren Strategie, wenn er sagt "Wir erzählen den Menschen einfach Geschichten, in denen sie sich wiederfinden, in denen sie ihre Klagen sprechen hören". Das ist genau die Mechanik, mit der Rechtsextreme agieren. Der Linke Alfred Loth, gespielt von Alexander Swoboda, ist dagegen wahnsinnig hochtrabend in seinen Formulierungen, aber wenn das Leben etwas von ihm fordert, macht er sich aus dem Staub.

Regisseur Klaus Schumacher arbeitet in Hamburg an ”Aus dem Nichts”.
Trotzdem wird es in Ihrer Inszenierung zum Schluss hell. Würden Sie das heute noch genauso machen?
Die Personen schauen gemeinsam auf den Horizont und blicken auf eine Katastrophe; Martha hat immerhin ihr Kind verloren. Gleichzeitig steht der Sonnenschein auch dafür, noch einmal anfangen zu können und Trost in der Natur zu finden. Der Schluss ist nicht eindeutig, von daher finde ich ihn gut.
Was macht die Arbeit an einem so eindringlichen Text mit den Beteiligten, mit Ihnen und dem Ensemble?
Wir versuchen, uns selbst zu betrachten, also auch unseren Umgang miteinander. Dabei muss man sich auch damit auseinandersetzen, dass das Stück beschreibt, dass nicht die Welt als Welt veränderbar erscheint, sondern, dass jede Figur sich verändern soll, damit ihre Situation sich verbessert. Das finde ich sehr aktuell: Wir sollen alle selbst die Verantwortung in uns suchen, damit die Welt eine bessere wird. Das kann nicht funktionieren – wir müssen über Gesellschaft reden. Dafür ist das Theater ein guter Ort.
Wie politisch deutlich darf Theater denn sein?
Man sollte sich selbst und die Welt in dem erkennen, was man im Theater sieht. Eine Welt, die veränderbar ist. Das ist für mich ein hoch politischer Vorgang. Aber ich liefere keine Antworten, ich möchte große Fragen stellen mit intelligenten Texten und raffinierten Erzählweisen.
An was arbeiten Sie derzeit?
An einer Bühnenfassung des Films "Aus dem Nichts" von Fatih Akin, der die NSU-Morde thematisiert. Der Film beschreibt total gut, wie wir mit bestimmten Communitys umgehen, wie stark die Gesellschaft von rassistischen Tendenzen durchzogen ist. Und es ist auch auf so einer Höhe wie "Vor Sonnenaufgang" geschrieben. Das heißt: Es geht um Leben und Tod. Premiere ist am 18. Januar 2025 am Jungen Schauspielhaus in Hamburg.