Herr Gallmann, in Dea Lohers Stück "Das letzte Feuer" geht es um ein Kind, das überfahren wird und wie sich dieses einschneidende Erlebnis auf die Menschen auswirkt, die damit zu tun haben. Sie spielen die Rolle des Rabe Meier – wer ist das?
Guido Gallmann: Rabe Meier ist ein traumatisierter Kriegsheimkehrer. Er hat seine Frau verlassen, weil sie ihm offenbar nicht helfen konnte; vielleicht will er sich aber auch nicht helfen lassen. Es ist Zufall, dass er in der Sekunde, in der der Unfall passiert, neben dem Jungen steht, der über die Straße läuft und von einem Auto erfasst wird. Er ist unmittelbarer Zeuge.
Wie reagiert er darauf?
Er findet keine Worte, und er beginnt, sich selbst zu verletzen.
Wie spielt man so jemanden? Das klingt, als sei es eine schwierige Rolle.
Das finde ich auch. Manchmal ist es solchen Fällen das Beste, sich selbst erst einmal zu sagen: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht habe ich Ideen, die sich aber in Luft auflösen oder verändern können. Bei der Arbeit mit Alize Zandwijk entsteht viel während der Proben, man tastet sich heran an die Rollen und findet Dinge über sie heraus. Eine Vorgabe von ihr gibt es: Sie wünscht sich eine hohe Emotionalität. Man könnte den Mann auch distanziert und introvertiert spielen ...
... wäre das einfacher?
Vielleicht, weil auch die Sprache Dea Lohers, die ja künstlich ist, das unterstützen würde. Aber wir gehen einen anderen Weg. Zum Schluss öffnet er sich dann und erzählt, was eigentlich passiert ist.
Ihre Rolle bekommt im Laufe des Stücks immer mehr Text, zu Beginn wirkt Rabe Meier wie stumm geschaltet.
Zum Schluss ist es fast ein Dialog zwischen Nadine Geyersbach, die die Rolle der Susanne Schraube, der Mutter des Jungen, spielt, und mir. Das ist wie ein zweites kleines Stück nach dem eigentlichen Stück.
Das Stück mutet zunächst an wie die Suche nach einem Schuldigen, doch geht es auch um Schuld allgemein?
Doch, das würde ich schon sagen. Vielleicht ist es eher das Gefühl von Schuld: Was hätte ich anders machen, was hätte ich verhindern können? Beispielsweise das Auto nicht verleihen, mit dem der Unfall passiert ist. Oder: Nicht bekokst fahren. Oder: Besser auf das Kind aufpassen. Alle haben das Gefühl: Hätte ich mal ...
Da stellt sich auch die Sinnfrage, oder?
Irgendwie schon, auch, wenn meine Figur das sogar verneint, dass es überhaupt einen Sinn gibt. Aber die anderen, beispielsweise Karoline, die nach einer Krebs-Operation brustamputiert ist, sucht schon sehr danach. Es ist ein sehr reichhaltiger Text.
Was hat es mit dem Titel "Das letzte Feuer" auf sich?
Rabe bekommt von Karoline ein rotes, flächiges Bild mit dem Titel geschenkt. Man kann darin verschwinden, sich auflösen. Sie kommentiert das mit dem Satz "Danach fängt alles neu an", und Rabe sagt: "Es ist trotzdem schön". Und am Ende bringt ihn das auf eine sehr radikale Idee.
Ist das ein anstrengender Abend für das Publikum?
Ich bin sehr gespannt, wie es wird. Alize Zandwijk ist sehr sparsam, was Striche angeht, sie liebt jede der Geschichten, die erzählt werden. Wir sind jetzt bei etwas mehr als zwei Stunden Dauer und wir werden es wohl ohne Pause spielen, weil es so intensiv ist. Im günstigsten Fall ist es so packend und berührend, dass es nicht anstrengend, sondern anregend ist.
Das Gespräch führte Iris Hetscher.