Es ist immer speziell, wenn man mitten in der Stadt und unter freiem Himmel auf Kultur im Allgemeinen und Theater im Besonderen trifft. Doch dieser Abend war dann vielleicht doch noch etwas außergewöhnlicher als andere. Der Anblick jedenfalls, der sich nicht nur dem Publikum, sondern auch den Passanten am späten Donnerstagabend auf dem Goetheplatz bot, verleitete etliche von denen, die eigentlich anderes vorhatten, zum Stehenbleiben – und wer einmal stand, der blieb meist auch. "Possessed" (zu deutsch: besessen) wurde dargeboten, in einer Inszenierung der Regieassistentin Nora Strömer, die mit dem Stück ihren Abschied aus Bremen feiert; und neben Totenköpfen am Balkon, einer Theaterfront in Flammen und einem weiblichen Teufel, den es kaum auf seiner Bühne hielt, bekam das Publikum vor allem einen mitreißenden Monolog frei nach dem Horrorfilm "Rosemary’s Baby" des Regisseurs Roman Pola?ski geboten.
Der erzählt die Geschichte des Ehepaars Rosemary und Guy Woodhouse, die frisch in eine Wohnung in New York City gezogen und dort die Nachbarn von Minnie und Roman Castevet geworden sind. Guy, Schauspieler und nur mäßig erfolgreich, freundet sich mit ihnen an und darf nach dem mysteriösen Ausfall eines Kollegen dessen Hauptrolle in einem Theaterstück übernehmen. Rosemarie träumt daraufhin von einer Vergewaltigung und wird schwanger. Als auch noch ein alter Freund der Woodhouses ums Leben kommt, ist sich Rosemary sicher, dass sie in die Fänge eines Hexenzirkels geraten ist, der es auf ihr ungeborenes Baby abgesehen hat.
Der Stoff ist ein Horrorfilm-Klassiker, der auch in seiner Interpretation auf dem Goetheplatz nicht unbedingt für Kinder geeignet ist. Denn trotz populärer Umsetzung bleibt die Geschichte nah am Original und thematisiert zumindest hintergründig auch die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Regisseur der filmischen Vorlage. Für jugendliches und erwachsenes Publikum funktioniert das Ganze allerdings prima. Nadine Geyersbach trug mit Witz und Verve, Tempo und bemerkenswerter Ausdauer die Geschichte Rosemarys vor und zog das Publikum schnell in ihren Bann. Das war anspruchsvoll und erforderte durchaus auch Improvisationstalent, wenn von Zeit zu Zeit das Mikrofon durch röhrende Sportwagen auf dem Ostertorsteinweg übertönt oder der auf Grusel getrimmte Theatervorplatz von ignoranten Hundebesitzerinnen durchquert wurde. Doch natürlich lebt das Motto "Common Ground", unter dem der Goetheplatz aktuell bespielt wird, und dessen Zusatz "Draußen, umsonst, für alle!" auch von solch unvorhersehbaren Episoden.
Es wird niemanden verwundern, dass "Possessed" der Nervenkitzel fehlte, das Verschwimmen, von Realität und Vorstellung, das die filmische Vorlage ausmacht. An diesem Abend punktete die Geschichte von "Rosemary’s Baby" stattdessen mit anderen Attributen; vor allem mit Kurzweile, Überraschungsmomenten und einem (selbst)kritischen, manchmal ironischen Blick auf die Welt des Theaters. Mit "Possessed" ist der jungen Regisseurin ein schöner Ausstand gelungen, der Spaß macht und auch für weniger erfahrende Theatergänger unbedingt empfehlenswert ist.