Ein Mädchen im roten Kleid inmitten einer windigen Moorlandschaft oder ein ziegelgedecktes Haus hinter vom Herbst nackten Ästen: Oft vermitteln die Aquarelle Overbecks ein Gefühl der Melancholie. Die Bilder, manchmal hastig auf altem Packpapier angefertigt, geben einen direkten Einblick in die Arbeits- und Denkprozesse des Künstlers. Die Aquarelle dienten dem Maler als Skizzen und Vorstudien, die er vor Ort erstellte, um Motiv und Lichtverhältnisse später auf Öl übertragen zu können.
Nach typischen Aquarellen sehen die Bilder der neuen Overbeck-Ausstellung nicht aus. Wer teils halbtransparente Bilder mit verträumten Farbverlaufen oder auch knalligem Blau und Pinktönen erwartet, muss sein Bild anpassen. „Die Aquarellbilder der Overbecks sind nicht verlaufen, wie man das typischerweise – etwa von Künstlern wie Emil Nolde – kennt,“ erklärt Museumsleiterin Katja Pourshirazi. Stattdessen dominieren klar abgegrenzte Flächen in sattem Braun, Beige und Grün.

Die oft etwas düstere Ausstrahlung der Bilder kommt nicht von ungefähr: „Die Gouache-Technik kommt der Ölmalerei schon sehr nahe, die Farbe ist stark pigmentiert und kraftvoll,“ erklärt Pourshirazi. Fritz Overbeck verwendete meist deckende, dunkle Farben für seine Aquarelle. 50 Aquarelle und 40 Ölgemälde zeigt das Overbeckmuseum nun in seiner neuen Ausstellung, einige Werke stammen auch von Hermine Overbeck-Rohte.
Abweichungen zur Vorstudie
Wie der 1909 verstorbene Fritz Overbeck gearbeitet hat, darüber gibt besonders das Bild "Die Schinkendiele" Aufschluss. Bei diesem Werk sind Vorstudie und finales Ölbild erhalten, beide unterscheiden sich allerdings deutlich. Zeigt das Aquarell noch einen leeren Raum mit hoher Decke und geöffneter Tür, in dem Dutzende Schinkenkeulen zum Trocknen von der Decke baumeln, hat der Maler sich bei der Umsetzung des Ölgemäldes einige Freiheiten erlaubt. Neu hinzugefügt wurden zwei Figuren: Eine Bäuerin vor einer offenen Feuerstelle und ein blondes Mädchen im blauen Kleid. Die zuerst geöffnete Tür, die den Raum erhellt, ist auf dem Ölgemälde geschlossen. Andere Aquarelle lassen noch ein Gitternetz an Linien erahnen, das dem Künstler geholfen haben mag, sein Motiv ohne Proportionsfehler vom Papier auf die Leinwand zu hieven.

Neben typischen Motiven mit Worpsweder Bäumen und Mondnächten zeigt die Ausstellung Overbeck von einer experimentelleren Seite. Fast schon expressionistisch gibt sich Overbeck mit bunten Häuserfronten in einem Straßenzug auf der "Dorfstraße Westdorf". Auch Figuren sind für den Landschaftsmaler Overbeck eher ungewöhnlich – die Ausstellung versammelt trotzdem einige Figurenbilder. Wer die Menschen auf den Bildern sind, etwa das mysteriöse Mädchen im roten Kleid, das immer wieder auf Aquarellen auftaucht, kann Katja Pourshirazi aufklären. „Die Modelle waren meist Bauernkinder oder Kinder aus Armenhäusern, die sich bei den Worpsweder Malern etwas dazuverdient haben.“ Die Figuren in der Schinkendiele könnte der Künstler sich dagegen ausgedacht haben.
Vom Malschüler zum Experten
Deutlich wird auch, wie sich der Stil von Fritz und Hermine Overbeck mit den Jahren verändert hat. "Frühe Werke der beiden sind noch viel stärker vom Realismus und Naturalismus des 19. Jahrhunderts geprägt,“ erklärt die Museumsleiterin des Overbecksmuseums. So fallen Werke wie "Im Treppenhaus" oder "Baum zwischen Häusern in der Stadt" von Hermine Overbeck durch ihren Detailreichtum auf: Auf einer Wiese sind einzelne Grashalme oder Blüten erkennbar, auf einer Kirchturmspitze ein einsames Kreuz. In späteren Jahren wurden die Pinselstriche dann immer breiter, und mit der Zeit fanden die Künstler den Mut, mehr umzudeuten. "Als Malschüler aber mussten die Künstler erst mal beweisen, dass sie malen konnten, " sagt Pourshirazi. "Licht und Schatten mussten perfekt sitzen, Proportionen und Farbnuancen stimmen.“ Erst nach der Beherrschung der Grundlagen durften die Maler ihren eigenen Stil entwickeln.

Heute trägt Fritz Overbeck den Beinamen "Der Wolkenmaler" - und diesem wird auch die Aquarellausstellung gerecht. Der Künstler gibt dem Himmel viel Raum, siedelt die Horizontlinie gerne im unteren Bilddrittel an. „Es ist nicht leicht, Wolken zu malen – sie haben etwas sehr Leichtes, Transparentes," sagt Katja Pourshirazi. Wenn man dagegen mit Weiß male, wirke das oft schwer. "In Fritz Overbecks Bildern hat man das Gefühl, die Wolken könnten sich noch bewegen, könnten ziehen“.